Sunday 2 March 2008

Sweet, sweet Salone...

Es ist der zweite Maerz. Inzwischen ist mehr als die Haelfte meiner Zeit rum und eine lange Zeit vergangen, seit ich geschrieben habe.
Nun sitze ich im so genannten Internet-Café in Aberdeen, einem Stadtteil von Freetown. Nur paradoxerweise gibt es hier weder Café, noch Internet. Koffein gibt es in Form von Cola und kommunizieren kann man ja auch so. Der Server ist “down”, es dauert noch etliche, unabschaetzbare Minuten, bis alles wieder startklar ist.
Also nutze ich die Zeit, meinen Blogeintrag als Word-Dokument vorzubereiten und dann hineinzukopieren. So machen es die meisten Sierra Leoner hier ohnehin. Erst zu Hause auf einem Uralt-Computer vorschreiben, dann auf einen USB-Stick und im Internet nur schnell abschicken. Denn sonst wird es in der Regel zu teuer.

Aber nun zu den eigentlichen Geschehnissen der vergangenen Tage. Die letzte Woche war die schoenste Zeit meines Aufenthalts hier bisher. Endlich habe ich neben dem doch recht stressing-bedrueckendem Leben in Freetown auch die schoenen Seiten des Landes kennen gelernt, das, was Sierra Leone den Namen Sweet Salone eingebracht hat.

Zu verdanken habe ich dies vor allem einem deutsch-franzoesischen Filmteam, die hier derzeit Aufnahmen fuer eine Reportage ueber den Tourismus in Sierra Leone machen. Die Botschaft lautet: “Der Krieg ist vorbei, das Land hat so viel zu bieten. Hallo, liebe Investoren und Touristen, kommt zurueck!”… und ich glaube nach dieser Woche: das werden sie auch.

Los ging es fuer mich am Lakka-Beach, wo ich gemeinsam mit dem Team ein paar Tage in einfachen Bungalows verbracht habe. Die Straende sind nicht nur bildschoen, sondern bislang auch einfach so einsam, dass man nach wenigen Stunden Freetown komplett hinter sich laesst und denkt, man waere tatsaechlich auf einer dieser einsamen Inseln, von denen immer in Redewendungen die Rede ist. Neben uns und dem Personal der Bungalows gibt es hier nur am Wochenende ein paar andere Weissnasen, ueberwiegend natuerlich von hier taetigen NGOs oder UN-Personal. Ich treffe einen Arzt ohne Grenzen, den Chef-Anklaeger des Special Courts, einen alten Franzosen, der seit 20 Jahren in Sierra Leone gestrandet ist und so allerhand andere komische Leute. Aber immer nur gerade so viele, dass man sich nicht gestoert, sondern nur amuesiert fuehlt.

Das Personal ist hier sehr liebevoll, zumindest am Lakka-Beach. Paul gehoeren hier 3 Bungalows. Er spricht fliessend Franzoesisch wg. der vielen Fluechtlinge aus Guinea und der Elfenbeinkueste, die hier lange Zeit waren. Und wegen des franzoesischen Tourismus, der offenbar geboomt hat, lange vor dem Krieg. Dann gibt es da noch Cosmos, der seinen einen Bungalow liebevoll “Club-Med” nennt. Zumindest so lange, bis wir ihn darauf hinweisen, dass das Probleme geben koennte, sobald er tatsaechlich seinen Traum von einer Webseite umsetzen moechte und im franzoesischen Fernsehen schon sowieso. Also nennen wire s gemeinsam spontan um in “Cosmos: Restaurant and Beach-House”. Cool. Dennoch bleibt er nicht der einzige, der es mit ein bisschen charmant-naiver Marken-Piraterie zum schnellen Erfolg zu bringen versucht. Wenige Meter weiter trohnt auf einer Felseninsel das oertliche Hard Rock Hotel. Ist natuerlich keines. Obwohl, wenn man drueber nachdenkt: Es ist auf hartem Rock. Also stimmts ja doch, irgendwie.

Das Personal ist bei allen drei ein bunter Mix aus Kindern, zugelaufenen Frauen, entfernten Verwandten, Freunden, Beach Boys und ehemaligen Kindersoldaten, die jetzt als Nachtwaechter fungieren. Da hier alle dankbar fuer einen Job und ein bisschen Zugehoerigkeitsgefuehl sind, gibt es damit aber kein Problem, im Gegenteil. Alle helfen mit, auch wenn das nur unter Supervision der Chefs wirklich gut funktioniert. Denn auch am Strand wird, genau wie bei den NGOs, Arbeit on the “grassroots-level” betrieben. Allerdings in etwas anderem Sinne. Ab 9 Uhr morgens wird gekifft – denn das ist hier nicht nur billig, sondern auch einfach entspannt. Einer unserer Kellner erklaert uns das Prozedere sehr anschaulich: “Yu know, there are three kinds of meditation! High meditation, medium meditation and low meditation. I practice low meditation. But I always listen to Bob Marley.” Und in der Tat. In seinem Ohr sind durchgehend Kopfhoerer von seinem Handy. “I know a place, where we can carry on”… Recht hat der Bob, denn dieser Strand hat es wirklich in sich. Mein franzoesischer Kollege hat dafuer nur einen Kommentar uebrig: “Do you know any restaurant in the world, where you can sit on a beach like this and share a joint with your waiter?”.
...und, um das zu ergaenzen: Ich kenne auch keinen Strand, wo einen der Vermieter des Bungalows zum Bush-Boogie einlaedt. So heisst hier die Dorfparty am Samstag....fuer die wir leider viel zu muede waren.

Wir schwimmen morgens, mittags und abends mehrfach… dazwischen gibt es Hummer, Baracuda, ein paar Pommes und jede Menge Shrimps. Am liebsten mag ich unser “Night-Swimming”, denn da reflektiert das Plankton unter Wasser das Mondlicht. Es ist so dunkel, dass ich mir vorkomme wie Luke Skywalker mit meinen leuchtenden Schwimmbewegungen. Oben sehe ich nur die Sterne. Meine Freunde kann ich im Wasser nur erahnen und hoeren. “Man meint, man sei im Paradies”, sage ich zu meinem deutschen Freund. “Wieso man meint?”, fragt der zurueck. “Du BIST es.”

Jeden Tag fahren wir raus, an andere Straende. Und einer ueberbietet den naechsten. Sussex, Mama Beach, River No.2, Tokey Beach. Mit dem Landrover Defender geht es ueber Schotterpisten und Loch-Felder, die sich hier Strasse schimpfen. Wir fuehlen uns dreckig, sandig und salzig, aber einfach gut. Die Jungs reden alle fast ausschliesslich Franzoesisch, aber ich bin dankbar dafuer, denn so kann ich es endlich wieder ueben.

Wir drehen Interviews mit verschiedenen Dorf-Groessen, Fischern und Bewohnern und einem Libanesen, dem fast ganz Tokey-Beach gehoert. Fast alle sind dankbar fuer ein bisschen Ruhm. Geld wollen sie natuerlich dennoch, aber das haelt sich in der Regel im Rahmen. Ausser bei Buba. Buba hat nicht nur einen krummen linken Arm, sondern auch deshalb schon einen Goenner aus Frankreich. Er bewohnt das groesste Haus im Dorf und will uns die Geschichte vom Afrikana erzaehlen. Das Afrikana war ein 5-Sterne-Luxustraum in den 70er und 80er Jahren, hier am Tokey-Beach. Dann kam der Krieg und alles ging den Bach runter. Allerdings nicht etwa, weil die Rebellen alles angezuendet haetten.

“Rebellen haben sich hier gar nicht her getraut.”, erklaert uns der Libanese. Denn das Helipad des Hotels wurde auch Devils Island genannt. Und der hier stark vertretene Aberglaube hat auch die Rebellen ferngehalten. Stark. Dennoch sind nur Ruinen uebrig von dem einstigen Palast, denn die Dorfbewohner haben einfach alles gepluendert, was sich irgendwie verwerten lies. Saemtliches Holz, Plastikplanen im Pool, Fliesen. Alles.
Die Geschichte ist eindrucksvoll. Nie zuvor habe ich so viel Potential so 100%tig ungenutzt gesehen. Insgeheim bin ich aber fast auch ein bisschen dankbar, dass es hier noch nicht boomt. Paradox. Der Film macht Werbung fuer das Land, damit mehr Touristen kommen, aber beim Anblick eines einzigen weissbaeuchigen Briten mit albernen Turnschuhen kruemmen sich mir schon die Fussnaegel.

Nach dem Dreh im ehemaligen Afrikana wuenschen wir uns, wir haetten dem Libanesen noch besser zugehoert. Er hatte uns vor Buba gewarnt, der jetzt ploetzlich viel mehr als die vereinbarte Gage haben moechte – fuer seine Expertise. Wir geben ihm mehr als allen anderen, aber dennoch nur so viel, wie wir fuer angemessen halten. Was er fuer wenige Stunden verlangt, sprengt den Monatslohn eines lokalen Oxfam-Mitarbeiters. Wir denken uns nichts weiter und fahren davon, aber ein fader Nachgeschmack bleibt.

Nur wenige Tage spaeter aber holt uns die Geschichte ein. Zurueck am Tokey-Beach wollen wir ein paar Aufnahmen vom dahinter liegenden Dorf Tokey machen. Wir lernen den Dorf-Obersten kennen und gruessen auch den Policeman des Dorfes freundlich mite in paar Brocken Krio. Doch schon Sekunden spaeter taucht ploetzlich Buba auf, zeigt mit dem Finger auf meinen deutschen Freund und beschimpft ihn wuesst, ihn missbraucht, ja nicht bezahlt zu haben. Mich packt fuer einen kurzen Moment die Angst, denn binnen wenigen Minuten ist das ganze Dorf in Aufruhr. Fischer, Dorfbewohner, Kinder…alle versammeln sich in einer Traube um uns herum und bruellen wirr durcheinander. So verstehe ich nun wirklich kein Wort Krio mehr.

Die Franzosen wollen am liebsten die Flucht ergreifen und einfach fahren. Ich lenke ein und meine, wir sollten bleiben und unseren deutschen Boss sich selbst erklaeren lassen. Zum Glueck bewahren der Polizist und der Dorfchef die Ruhe. Keiner hier will Aerger mit ein paar Weissen, die eine Drehgenehmigung vom Informations-Minister dabei haben. Dennoch: Es gibt Klaerungsbedarf.

Als die zwei meinen Freund ins Schlepptau nehmen und mitsamt meinem Rucksack um die Ecke laufen, bin ich nochmal kurz skeptisch und laufe hinterher. Dann sehe ich, worauf es hinaus laeuft: Unsere erste traditionelle Gerichtsverhandlung.

In einer kleinen Strohhuette sitzen wir nun mit Buba, dem Anklaeger, dem Polzisten und den “Elderly”, den Alten und Weisen des Dorfes. Buba regt sich tierisch auf. Er erinnert uns an Gollum aus “Herr der Ringe”, denn noch vor wenigen Tagen war er die Freundlichkeit in Person, jetzt aber gestikuliert er wild herum, seine Augen scheinen fast heraus zu springen. Er beschuldigt uns abermals, wir haetten ihm 150 Dollar versprochen. Danach erklaeren wir unseren Standpunkt – mein deutscher Freund hier spricht zum Glueck nahezu fliessend Krio.

Schnell wird klar, dass das Dorf eigentlich keinen Aerger will. Der Polizist weisst Buba darauf hin, dass er eine offizielle Prozedur einleiten muesse, um das restliche Geld einzuklagen. Jedem hier ist aber klar, dass seine Forderungen jenseits von gut uns boese sind. Ein bisschen habe ich den Eindruck, manch einer hier ist sogar beleidigt, dass er sich so auffuehrt und meine, er verdiene so viel Geld fuer ein paar Stunden seiner Zeit. Dennoch: Ich bin beeindruckt, wie gut das Dorf organisiert ist – und von den Schlichtungsfaehigkeiten der Dorfweisen. Aber auch das afrikanische Temparament wurde heute eindrucksvoll demonstriert. Dass hier ein kleiner Streit auch schnell mal eskalieren kann, kann ich mir nur zu gut vorstellen nach dieser Auffuehrung. Zur Kroenung faengt ploetzlich ein Junge neben der Huette an, einen kleineren Jungen zu pruegeln. Wieder gibt es Schlichtungsbedarf. Dieses Mal aber nicht fuer uns. Wir uebergeben dem Anfuehrer Geld fuer einen Sack Reis, zu Gunsten der Community.
Und machen uns vom Acker. Schnell weg hier. Zurueck zur scheinbaren Ruhe des Meeres, sweet sweet Salone….

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