Friday 22 February 2008

UN-conditional Love?

Nun ist es wieder ein paar Tage her, dass ich geschrieben habe. Fast schon zu viel ist passiert, um es jetzt noch zusammenfassen zu können – gleichzeitig aber zu relevante Dinge, um es nicht zu tun. Die letzten Tage habe ich vornehmlich damit verbracht, mir etwas mehr Kontakte aufzubauen, unter anderem auch, um etwas rauszukommen aus dem mittlerweile doch tristen Büro-Alltag. Ich bin ja schließlich nicht an‘s Ende der Welt gefahren, um 8 Stunden am Tag meinen Laptop zu massieren.

Zum Mittagessen habe ich deshalb am Dienstag den Sudanesen wiedergetroffen, Cheflogistiker beim UN Office in Sierra Leone. Zunächst mal, weil er nett ist und zweitens, weil ich ohnehin gerne Kontakt zum UN Office vor Ort aufbauen wollte – unter anderem auch, um einfach mal zu sehen, wie diese „Missionen“ vor Ort denn nun genau aussehen.

Ich komme also bei Tor 1 des riesigen UN-Compounds an. Da ich mit den Sicherheitsleuten in New York immer gut zurecht gekommen bin und die UN-Security meiner Erfahrung nach ungefähr so gut aufgestellt ist wie der Hausmeister meiner Grundschule, mache ich mir keine großen Sorgen. Ich wedele einfach mit der Visitenkarte von Habibi, dem Sudanesen – und schon wenig später werde ich am Tor von ihm abgeholt.

Wir planen, in die Mitarbeiterkantine zu gehen, allerdings erst in ein paar Minuten, denn Habibi hat noch Arbeit. Ich sitze also in seinem Office und sauge die Stimmung ein. Lustige Fotos hängen an der Wand: Habibi und der Weihnachtsmann im sonnigen Freetown, Habibi und ein paar Mädels, Habibi im Sudan. Daneben eine Karte seiner Heimat, gemalt auf Leder, einschließlich der verschiedenen Volksgruppen. Stolz erklärt er mir, dass er weder zu den Jungs im Norden, noch zu den Fur im Westen oder zum Süden gehört. „I am from the golden middle“.

Ich erinnere mich, dass ich noch vor gut 3 Jahren nicht mal genau wusste, dass der Sudan überhaupt existiert. Nur durch den Darfur-Konflikt ist das Land wirklich in die Schlagzeilen geraten. Traurig eigentlich – aber immerhin: Es gibt immer wieder Menschen wie Habibi, die es vom vermeintlichen „Ende der Welt“ aus schaffen, sich im UN-System hochzuarbeiten…

Kuwait, Somalia... verrückte Sachen hat Habibi schon erlebt, aber seine Heimat hat er nicht vergessen. Vielleicht schon in ein, zwei Wochen geht es für ihn nach Chad, wo die Rebellen erst vor wenigen Tagen die Regierung ernsthaft in Bedrängnis gebracht haben und internationale NGO-Mitarbeiter massenweise evakuiert werden mussten. Warum er sich ausgerechnet dort bewirbt? „Well, you know, it‘s closer to Sudan, my home.” Plain and simple.

Wir trinken einen italienischen Espresso, so richtig guten, handgemacht mit dem kleinen Kaffeekocher aus Italien. Neben der Felderfahrung war Habibi nämlich auch etliche Jahre dort, im Logistik-Zentrum der Vereinten Nationen. Auf mein fragendes Gesicht hin erklärt er mir, dass Italien transporttechnisch betrachtet den Mittelpunkt der Welt, oder sagen wir, der UN-relevanten Welt darstellt. Nun, so gesehen hat Cäsar wenigstens post-mortem von einer internationalen Vereinigung ein bisschen Anerkennung bekommen. Deutschland hat wohl auch versucht, den Zuschlag zu bekommen…aber mit Jakobs-Aroma gegen Lavazza… is schon schwer :-)

Wenig später brechen wir dann auf, in Richtung Kantine. Das UN-Gelände ist eigentlich eine alte Hotel-Anlage. Auf dem Weg sehen wir einen verrotteten Tennisplatz und einen leeren Swimmingpool. Teilweise wohnen hier auch die UN-Mitarbeiter, in den einstigen Hotel-Zimmern. Alles mit Meerblick. Für Flüge zum Flughafen hat die UN ihre eigenen Helikopter, für steuerfreies Einkaufen gibt es ein so genanntes „PX“, das steht für Price Exchange. Lässt sich aushalten, das Leben hier.

Eigentlich habe ich nur einen Grounds-Pass bekommen, darf mich also gar nicht in den entsprechenden Bereich hinein bewegen. Aber wie schon gesagt, die Security hier ist schon lange aus dem „High Alert Status“ raus. Meinen Ausweis drehe ich einfach um, Habibi verwickelt jeden Wächter in ein bisschen Smalltalk und voilà: Schon sitzen wir vor Reis und „smoked Chicken“.

Bald stößt ein Freund von Habibi dazu, ein UN Volunteer aus Holland. Sein Name ist vielversprechend und klingt eigentlich nicht so sehr nach friedliebendem UN-Mitarbeiter: „Harm“ heißt der Gute. Das Thema unseres Lunch-Talks passt ebenfalls gut dazu: „Does the international community cause more harm than good?“ Ein großes Themenfeld. Eigentlich viel zu groß, um es hier angemessen zu beschreiben. Als ich Harm und Habibi jedoch frage, was GENAU eigentlich das so genannte „Integrated Office of the UN“ für die Menschen in Sierra Leone tut, zucken beide synchron mit den Schultern. Das genügt mir als Antwort.

Eigentlich möchte ich nach meiner Rückkehr meine Magisterarbeit zum Thema Organisationslernen in der UNO vervollständigen. Ermutigend ist das traurige Bild vor Ort leider nicht gerade. So setzt es sich denn auch die nächsten Tage fort – und beschränkt sich bei Weitem nicht nur auf die UN, sondern erstreckt sich über das gesamte Feld der NGOs und so genannten UN-Agencies wie UNDP und UNICEF.

Am Donnerstag treffe ich einen befreundeten JPO, also einen so genannten Junior Professional Officer vom UNDP zum Lunch beim Libanesen. Yui kommt aus Japan, hat in den USA studiert, ein paar Jahre mit Stahl gehandelt, dann seinen Master gemacht und ist nun hier gelandet, in West-Afrika. Spannender Kerl. Wir unterhalten uns kurz, tauschen die wesentlichen Basics unseres jeweiligen Karrierepfades aus und…“schwuppdiwupp“ kann ich mir doch wieder die alles entscheidende Frage nicht verkneifen: „Bist du zufrieden mit dem, was du tust? Glaubst du, etwas zu bewirken?“. Yui antwortet in japanisch-diplomatischem Stil. Ja, eine Herausforderung sei es schon, sich auf die langsam mahlenden Mühlen des UN-Systems einzustellen. Insbesondere in Afrika.

Naja, immerhin wird man bei der UN dafür entschädigt – und das nicht zu knapp. Noch zahlen sie sogar einen Sondergefahren-Zuschlag, obwohl Sierra Leone schon lange aus der Konfliktphase raus ist. Ich schüttele innerlich den Kopf über diese Systemfehler, freue mich aber über das schöne Mittagessen und den netten Kontakt. Immerhin weiß Yui eine pragmatische Antwort auf meine Frage, was das Integrated Office denn nun genau macht: „Well, without them we would have no helicopters!“ Gut, verstehe.

Am Abend dann steht mein erster richtiger deutscher Abend auf dem Programm. Ich freue mich irgendwie, da ich endlich mal wieder Deutsch sprechen kann – ach, und Würstchen und Becks gibt es auch. Die Party findet im Strandhaus meines Bekannten Matin statt. So ziemlich jeder Deutsche in Sierra Leone kommt vorbei. Darunter Generatoren-Ingenieure, THW, Welthungerhilfe, GTZ-Praktikanten, UN-Mitarbeiter und andere gestrandete Seelen.

Ich führe einige interessante Gespräche, komme kaum zum Essen, und tausche ein paar Nummern. Es ist das übliche Networking-Programm. Eine GTZ-Praktikantin prahlt, dass sie schon das zweite Mal da ist, weil sie sich so geschickt angestellt hat. Und von ihrer umfangreichen finanziellen Entschädigung. Huch, da ist es wieder, dieses Gefühl, nirgends so richtig dazu zu gehören. Man wird abgecheckt, einmal durch den Lebenslauf-Scanner gezogen und danach mit seinem inzwischen lauwarmen Bier stehen gelassen.

Mich interessiert heute Abend, woran es im System hapert – und vor allem, wie andere Menschen damit umgehen, ständig unterwegs zu sein, von Land zu Land und Workshop zu Workshop. Ich befinde mich in der Zwickmühle: Wenn ich Kritik üben will, greife ich das Innerste dieser Menschen an. Sie identifizieren sich nicht nur mit dem System, sie sind Teil davon. Sie haben selbst vielleicht alles versucht und inzwischen einfach aufgegeben.

Wenn ich dazu gehören will, muss ich jedoch lügen, übertreiben und Honig um Bärte schmieren. Das aber wäre für mich „more harm than good“.

Was mich am meisten freut, sind derweil meine Gastgeschwister daheim. Die stellen keine Fragen nach meinem Lebenslauf, sondern lernen im Dunkeln Mathe, um danach mit mir Jackie Chan zu imitieren. Und sie lieben sich gegenseitig, ganz ohne Bedingungen. Und ich sie auch.

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