Tuesday 19 February 2008

Schweröl und Wein.

Auf dem Nachhauseweg habe ich mir gestern eine gute Flasche Wein mitgenommen, einen richtig schönen Roten, für 15.000 Leones, umgerechnet also ein bisschen mehr als 3 Euro. Den Tipp hatte ich von Glenn bekommen, meinem kanadischen Kollegen. Glenn ist eher ein Eigenbrötler, der sich nach Feierabend und am Wochenende meist mit einer Flasche Wein und einem guten Buch beschäftigt. Ich habe anderes im Sinn, denn allzu viel trinken darf ich mit meinem Breitband-Antibiotikum leider eh nicht – aber dazu später mehr.

Heute beschäftigt mich erstmal ein ganz anderes Thema, nämlich das der Umwelt. In Malama und auch sonst in Sierra Leone gibt es am Rand der meisten Straßen kleine Bäche. Dort verlaufen nicht nur Wasserrohre, sondern auch die Abfall-Infrastruktur der ganzen Gegend. Die Wasserrohre sind meist aufgeschnitten, da die Bewohner hier sonst hunderte von Metern zum einzigen Wasserhahn der Gemeinde laufen müssten. So stehlen sich letztlich die meisten ihr Wasser – das ergibt auch die Studie, die wir neulich noch bei Oxfam ausgewertet haben.

Aber zurück zum Abfall. Was mich wirklich erschreckt, ist die Farbe der kleinen Bäche… tief grün – und doch irgendwie bunt, eine Mischung aus Schweröl, Dosen, Resten von Trinkwasser-Tüten, ausgesaugten Orangenhülsen. Was darin noch alles so umher schwimmt, habe ich am Sonntag lernen können, als ich sah, wie eine Mutter ihrem Sohn zumindest unten herum aus dem Kirchen-Anzug half, um ihn in den kleinen Bach pieseln zu lassen. Ich erinnere mich an all die Orangen und Brote, die ich schon am Straßenrand gekauft habe und stelle mir kurz vor, was ich da wohl so alles mitgegessen habe.

Zum Glück werde ich von einem anderen Ereignis von diesem ekligen Gedanken abgelenkt. Eine junge Dame erkennt mich wieder – ich hatte vor einigen Tagen bei ihr eine DVD für meine Gastbrüder gekauft. „Hey, kam here! Me na just komin from taun!“ Sie hat neue DVDs mitgebracht und will gern die gute Kundenbeziehung pflegen.

Allerdings redet ein junger Mann von nebenan dazwischen. Statt Angelina Jolie und Jackie Chan empfiehlt er mir heute die Pornos im Sortiment. Schön zusammengebrannt für den weißen Mann. Von Pamela Anderson über die Girls von FHM bis hin zur Playboy Collection, gibt‘s hier alles, was der weiße Schw…, äh, verzeihung, das Herz vermeintlich begehrt.

„Yu leik it?“. Na, na, na, denke ich mir und frage zurück: „No no mai frend! Yu leik it! I can see it in yu eyes!“… Bei dem Späßchen belasse ich es dann auch und verabschiede mich höflich, aber bestimmt.

Das nächste Ereignis lässt aber wie gewohnt nicht lange auf sich warten. Am Straßenrand warten nämlich nicht nur DVDs, Brot und Orangen, sondern auch Affen. Zumindest heute. Ein junger Straßenjunge hat einen Affen dabei, an der Leine. Er spielt mit ihm, richtig süß.

Als ich den Jungen darauf anspreche, bietet er mir den Affen kurzerhand zum Verkauf: „20.000 Leones!“… ich schmunzle und sage: „Na, ich bin sicher du willst deinen Affen behalten?“. „Keine Sorge, ich habe zwei davon!“. Die Versuchung ist schon groß, schließlich kann man nicht jeden Tag einen Vorfahren für 5 Euro kaufen. Aber wohin nur mit dem kleinen Teufel? Schade, dass ich nicht wenigstens meine Kamera dabei habe.

Daheim angekommen frage ich Arnold, ob er gern Wein trinkt. Arnold ist mein Bettnachbar. Dass er so heißt, weiß ich auch erst seit heute. Man kann sich ja nicht alles merken. Aber gut, Hauptsache, er freut sich über den Wein. Schließlich muss er mich jede Nacht in seinem Bett dulden – und am Sonntag habe ich ihn dann auch noch mit seiner (oder einer seiner…) Freundin(nen) erwischt. Ich dachte, er hätte nur mein Klopfen nicht gehört. Beim zweiten Klopfen machte er dann sofort auf, die Bluse der jungen Dame war noch nicht zu. Aber auch das ist ja nichts wirklich Neues. Mama Africa sitzt manchmal mit heraushängendem Busen auf der Terrasse. Warum genau, weiß ich nicht, aber um den schönen Teint geht es hier jedenfalls nicht, so viel ist mal klar :=)

Apropos Teint… braun geworden bin ich bisher nur mäßig. Meist benutze ich noch Faktor 50 Sonnen-Creme und in die pralle Sonne lege ich mich schon erst gar nicht. Vielleicht komme ich mir aber auch nur so weiß vor, weil hier alle dunkler sind als ich, egal, wie sehr ich mich anstrenge. An einer Stelle bin ich dann aber doch so richtig schwarz, nämlich in der Ellenbogen-Falte. Dort sammelt sich der ganze Dreck und Diesel der Straße.

Wenn ich das sehe, denke ich immer an diese ganzen Klima-Konferenzen, in New York und auf Bali… und die Rolle der Entwicklungsländer beim Umwelt-Schonen. Aber wie sollen die das anstellen? Selbst der Strom, der scheinbar aus der Steckdose kommt, basiert hier auf Tausenden Liter Diesel und Hunderten Generatoren. Ein Wasserkraftwerk wäre hier vielleicht eine Lösung. Oder Solarzellen. Aber das braucht Zeit – und jede Menge Geld.

Immerhin: Mein Freund Martin vom THW macht einen Anfang – in einem kleinen Dorf seiner Wahl leitet er gemeinsam mit dem Chief des Dorfes ein Reformprojekt. Bald, so sagt er, werden dort Ziegel selbst hergestellt und Solarzellen werden zwei Energiesparlampen pro Haushalt versorgen. Außerdem gibt es ein mobiles Krankenhaus in einem alten Bus. Startgelder und Geschenke (wie eben jenen Bus) sammelt er mit Hilfe seiner über die Jahre aufgebauten Kontakte.

Durch das Einkommen der produzierten Waren, die gemeinsam zum Markt gefahren und dort abgesetzt werden, finanziert sich die Idee letztlich von selbst. Martin hilft beim Schreiben des Businessplans. Es wird dauern. Aber wenn es funktioniert, kann es ein Vorbild sein für andere Dörfer. Vorbei an NGO-Programmen, Weltbank-Auflagen und Regierungskorruption – einfach machen und Taten für sich sprechen lassen.

Am nächsten Morgen sitze ich nachdenklich im Taxi, als der Taxifahrer plötzlich seine 7-järhige Beifahrerin anmacht. „Hey, yu have 2000?“. Die Fahrt kostet 2000, die Kleine hat nur 5000 und der Fahrer kein Wechselgeld. Für Kompromisse haben die Transportunternehmer hier keine Zeit. Also fährt er rechts ran und ist drauf und dran, sie rauszuschmeißen – auf dem halben Weg zur Schule. Draußen warten schon die nächsten Passagiere wie die Geier auf eine Gelegenheit zum Mitfahren.

Ich lenke ein und sage: „Hey, no no. Let her stay. Me pay for us both!“. Der Fahrer versteht und fährt weiter. Über den Rückspiegel wirft mir das Mädchen ein Lächeln zu. Das ist alles, was ich brauche, für diesen Tag.

Auf dem Weg zum Büro stelle ich mir bildhaft eine Anzeige von World Vision vor: „Schenken Sie einem Kind den Weg zur Schule. Für nur 50 Cent am Tag sind Sie dabei.“ Ich muss lachen und freue mich, auch ganz ohne Wein.

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