Thursday 27 March 2008

Letzte Nachricht aus Sierra Leone




Nun, liebe Freunde und Interessierte...dies ist die letzte Nachricht aus Sierra Leone, denn mein letzter Tag im Büro geht seinem Ende entgegen und schon morgen abend befinde ich mich auf dem Rückflug nach London. Ich werde vielleicht noch einen abschließenden Bericht einstellen, wenn ich daheim die Zeit finde, vielleicht aber auch nicht.

Das Oster-Wochenende in Lakka war wunderschön, aber auch sehr bewegend. Mit Cosmos, dem einer der Bungalows gehört, und Nelson, einem der Fischermen, war ich beim Busch-Boogie tanzen, dann in einem kleinen Boot fischen....mit George, dem UN-Kumpel, gab es reichlich Hummer und Barracuda zu verspeisen...und die Sonne hat mich auch verwöhnt. Am Montag dann gab es eine riesen Party...1000de von Leuten kamen aus Freetown an den Strand von Lakka, jeder tanzte mit jedem und alle konnten für ein paar Stunden die Armut und die Sorgen vergessen - oder im Alkohol ertränken. Umso trauriger war der Abschied. Die Jungs hier sind mir wirklich an's Herz gewachsen... und mit jedem "See you soon" wird mir deutlicher, dass das so soon wohl nicht sein wird.
Wir tauschen eMail-Adressen und Handynummern - aber wie viel wird man sich nach zwei, drei Monaten noch zu sagen haben? "Na, heute guten Fisch gefangen?"... das reicht auf Dauer nicht, um eine Freundschaft aufrecht zu erhalten...oder?....

Heute wird es noch deutlich schlimmer, denn der Abschied von meiner Gastfamilie rückt näher. Mein Gastvater
Ben besucht mich im Büro und in einem letzten Anlauf versuche ich, ihm meine Kollegen vorzustellen, damit er vielleicht in absehbarer Zeit einen Job bei Oxfam bekommen kann, wenn es das Schicksal gut mit ihm meint. Ich drücke ihm noch etwas Geld in die Hand von dem letzten kleinen "Stipend", das mit Oxfam gezahlt hat, wenigstens genug für einen Sack Reis. Aber mir laufen jetzt schon die Tränen. Ich freue mich auf zu Hause. Auf das, was ich mein zu Hause nenne. Aber hier ist auch schon zu Hause. Hier habe ich auch das Gefühl von Familie bekommen...ganz anders zwar, aber doch schön. Und ich lasse die Liebgewonnenen zurück in ihrer Situation, machtlos, irgendetwas daran zu ändern.

Mir fehlt heute auch die Kraft, um viel mehr zu schreiben, denn ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Wie kann ich in Hamburg normal weitermachen, wieder Anschluss finden?... jetzt erst einmal London, wo ein Starbucks-Kaffee mehr kostet, als ein Durchschnitts-Sierra Leoner hier am Tag verbrauchen kann.

Na dann, auf gehts.... danke für Eure Aufmerksamkeit :-)

Ole

Saturday 22 March 2008

Über Stock und Stein - Rückreise aus Kailahun

Um 7 Uhr morgens sollen wir vom Fahrer abgeholt werden, um unsere Heimreise nach Freetown anzutreten. Ich bin ohnehin schon verkatert von einer viel zu kurzen Nacht, als ich feststelle, dass wir heute Morgen weder Strom, noch Wasser haben, um Kaffee zu trinken oder wenigstens Zähne zu putzen.

Wir warten geschlagene zwei Stunden bis endlich der Landcruiser der 50/50 Group auftaucht. BMT nennt sich das hier: Black Men‘s Time. 07:00 Uhr BMT entspricht also 09:00 Uhr GMT. Interessant.

Und damit nicht genug. Das Auto ist vollkommen überladen, auf dem Dach ein altes Bett und ein paar Container mit undefinierbarem Inhalt, Brennholz und Gepäck – und jetzt kommt’s: Im Auto selbst sitzen sämtliche Teilnehmer des Workshops, natürlich ohne Ankündigung.

Florie schaut mich an und verdreht die Augen. Irgendwann finden wir mit viel Mühe ein paar Zentimeter Sitzplatz – das Ergebnis: Ich bin in einem 4x4 einer Frauenbewegung, gedacht für maximal 7 Passagiere mit 10 Frauen, einem verzweifelten Fahrer und zwei Hühnern, die an den Füßen zusammengebunden im Kofferraum vor sich hinschnattern. Wobei das im Schnattern meiner Beifahrerin locker untergeht. Ich nehme es zunächst mit Humor, viel anderes bleibt mir wohl auch kaum übrig. Und irgendwie ist es ja auch genau die Situation, die man sich auf einer Reise wie meiner für einen schönen Blogeintrag wünscht :)

Allerdings schlafen mir nach gut drei Stunden Fahrt die Beine ein, da ich völlig eingeklemmt neben 3 echten Kampfgeschossen sitze, deren Hinterteile die Maße eines 50kg Sackes Reis um Längen und Breiten schlagen – und in jeder Pfütze biegen sich die Stoßdämpfer hör- und spürbar unter uns. Ich liege teilweise mit 45 Grad Winkel an die Scheibe gepresst und stelle mir bildhaft einen Artikel in der Hamburger Morgenpost vor: „Soziologie-Student der Uni Hamburg unter 10 Frauen in afrikanischer Pfütze begraben. Nachforschungen zeigen: Er hatte Gender-Studies zu oft geschwänzt.“ Die Lage ist im wahrsten Sinne des Wortes: Erdrückend.

Auch Fahrer Augustin ist sichtlich gestresst – die Damen behandeln ihn teilweise wie einen Hund – die umgedrehte Hierarchie wird genossen und genutzt. Ich versuche ihn immer mal wieder zu beschwichtigen und mich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Stück für Stück laden wir schließlich die Damen aus – ein paar in Kenema, ein paar weitere in Bo. Ich nutze die Gelegenheit, um mir ein paar Kochbananen und Mangos zu kaufen, als ein kleines Mädchen mir gleich die passende Notfalllösung anbietet: Rehydrationspulver nach Durchfallerkrankungen. Ein komisches Bild, aber so inspirierend, dass wir kurz vor Freetown dann tatsächlich nochmal eine Pinkelpause einlegen.

Ich gebe mich großzügig und lade Florie auf eine Runde „Pipimachen“ ein. Klingt zwar komisch – doch in der Tat – big biznes kostet hier 200 Leones, small biznes 100 Leones. Ich habe gerade noch etwas Kleingeld – so machen wir alle ein gutes Geschäft. Unter anderen Umständen hätte man sich vielleicht auf einen Drink eingeladen, aber gut…

Irgendwann fährt Fahrer Augustin plötzlich links ran, denn auf der Straße feilbietet jemand eine Art Waschbär zum Kauf bzw. Verzehr an. Doch als er näher hinschaut, entscheidet er sich ganz schnell gegen den Kauf. Der Grund: Diese Tiere essen menschliche Überbleibsel und ernähren sich quasi auf Friedhöfen. Gut, ich sehe ein, das will man nicht unbedingt selbst essen.

Gegen 19 Uhr sind wir dann endlich in Freetown, eine Stunde später werde ich vor den Sicherheitstoren meines Apartments abgesetzt, gerade zum rechten Zeitpunkt, denn Glenn öffnet soeben eine Flasche Wein – und die schlägt ein, denn gegessen habe ich heute fast gar nichts.

Friday 21 March 2008

Soziologische Feldstudien - Kailahun 2

Ich bin vollständig platt. Nachdem der zweite Tag in Kailahun einigermaßen ohne erwähnenswerte Zwischenfälle verlaufen und auch der Workshop soweit halbwegs gut verlaufen ist, hat es der dritte Tag (Donnerstag) echt in sich.

Zunächst einmal kann ich am Mittwoch Abend kaum einschlafen. Der Generator brummt zu laut. Dann geht er aus, der Ventilator damit aber auch. Zu heiß. Mist. Ich wälze mich in den Schlaf. Um fünf Uhr morgens weckt mich die örtliche Moschee mit ihren Gebets-Aufrufen. Ich fühle mich ein bisschen wie in „Nicht ohne meine Tochter“ und stelle mir vor, ich wäre in Teheran. Diese Aufrufe klingen irgendwie unheimlich fanatisch, eindringlich. Ich wälze mich noch zwei Stunden und brauche dann einen starken sierra-leonischen Kaffee, um aufzuwachen. Einen Kaffeefilter haben wir nicht, ich setze mich also und warte geduldig bis der Kaffee mir selbiges nachtut.

Nach ein bisschen Müsli mit super-sterilisierter H-Milch (die übrigens auch die Katze trinkt), laufe ich mit Flipflops quer durch Kailahun Richtung Büro der 50/50-Group, zum zweiten Teil des Workshops. Gestern ging es hier schon heiß her. Es ist spannend zu sehen, welches Selbstbild die Frauen hier von sich und ihren Männern haben. Zumindest jene, die es bis hierhin geschafft haben. Mich beschleicht das Gefühl, dass die Arbeit hier zunächst einmal zur starken Polarisierung beiträgt. Der Name lautet zwar 50/50, also Hälfte für beide. Der Verein erinnert mich zunächst allerdings eher an den „deutsch-türkischen Begegnungsverein“ nähe meiner Ex-Wohnung in St. Pauli, in dem ich noch nie auch nur einen einzigen Deutschen gesehen habe.

Dafür gibt es hier allerdings einen nachvollziehbaren Grund: Die Frauen sind hier derart unterdrückt, dass sie erstmal über’s Ziel hinaus schießen müssen, um überhaupt auch nur annähernd ihre Ziele zu erreichen. Draußen wie drinnen kleben jede Menge Aufkleber. Aufschrift: „A Woman belongs as much in the government as in the kitchen.“ Der daneben gefällt mir noch besser: „A Man of Quality should not be afraid of Women in Search of Equality.“ Find ich gut. Witzige Randbemerkung: Während ich das hier gerade schreibe, springt mein Ipod aufs nächste Lied um. Es spielt: „No Woman, No Cry“. Na, wenn das kein Zufall ist…

Im Workshop besprechen wir heute das Thema Kampagnengestaltung. Es geht heiter zu, denn die Moderatorin „Auntie Aisha“ und meine Kollegin Florie unterbrechen das Programm immer wieder mit kleinen Übungen als „Wachmacher“. Z.B. sollen die Teilnehmerinnen ihren Namen mit einem ihrer Körperteile in die Luft schreiben. Mal mit dem Ellenbogen, mal mit dem Kopf oder auch dem Knie. Ich sitze vergnügt in meiner Ecke und filme.

Die Damen hier sind wirklich stark, auch körperlich. Sie repräsentieren alle für mich irgendwie die Vorzeige-Mamas des deutschen Afrika-Klischees: Groß, stark, gut gebaut und eine Stimme wie ein Marktschreier auf dem Hamburger Fischmarkt. Wow. Bin ich froh, dass ich hier geduldet werde. Gestern noch saß ich draußen im Auto der 50/50 Group und wurde von Frauen auf der Straße beschimpft, was ich im Auto einer Frauenbewegung zu suchen hätte, als weißer Mann. Naja, gut, ähm, nüx. Sorry.

Nach dem Frühstück (gebackene Bananen mit Cola) verlasse ich den Workshop heute allerdings frühzeitig. Da ich an dem Manual mitgearbeitet habe, kenne ich das Programm schon und möchte die Zeit lieber nutzen, um Kailahun zu erkunden… und das wird sich lohnen, wie ich bald rausfinde.

Zunächst einmal laufe ich heim, quer durch den kleinen Ort. Mir fällt schnell auf, dass die Menschen hier deutlich offener sind als in Freetown. Vermutlich liegt das daran, dass die Kontraste etwas geringer und die Arbeit der NGOs etwas deutlich wahrnehmbarer ist. Das Büro von Oxfam ist z.B. nicht in einer Villa im Kolonialstil, sondern in einem stinknormalen Flachbau – und unweit vom Büro kann man auch schon einen der von Oxfam gebauten Wasserpumpen bewundern. Ursache und Wirkung sind hier also besser zu erkennen, die Dankbarkeit uns gegenüber zeigt sich dementsprechend deutlicher. So jedenfalls wirkt es auf den ersten Blick.

Nachdem ich mich zu Hause kurz umgezogen habe, mache ich mich auch gleich wieder auf den Weg, um erneut im „Peace-Garden“ zu speisen. Ich habe zwar mehr Appetit auf ein trockenes Instant-Müsli, aber ich bin ja nicht hier, um mich den ganzen Tag im Guesthouse aufzuhalten. Heute gibt es Reis und Bohnen. Dazu ein Malzbier. Ich kann live beobachten, wie draußen das nächste Hühnchen bei lebendigem Leibe zerhackt wird – für die quickfidelen Gäste im Garten des Friedens. Na dann, guten Appetit.

Ich will zahlen. 5500 macht das. Ich habe natürlich keine 500 Leones bei mir. Also kaufe ich einfach noch ein Malzbier, sozusagen „to go“, um eine runde Summe zu haben. Das behalte ich allerdings nicht lange bei mir, denn wenig später sehe ich eine Gruppe Kinder in einem halbfertigen Gebäude Fußball spielen.

Ich sehe eine Weile zu und setze dann an, um ein Foto zu schießen. Im Gegensatz zu Freetown sind in Kailahun alle ganz wild darauf, auf einem meiner Fotos zu landen, gleich ob jung oder alt. Alle rufen „Pumoi“ nach mir. Ich verstehe die ganze Zeit „Palmoil“ und fasse das einfach mal als Kompliment auf, denn ohne Palmoil geht hier schließlich gar nix. Später finde ich heraus: Es klingt zwar netter als „White Boy“, hat aber dieselbe Bedeutung, nur eben in Mende, einer der Stammessprachen hier. Ich mache also ein paar Fotos, jeder posiert so gut er kann. Eigentlich wollte ich ja das Spiel fotografieren bzw. filmen, doch daraus wird nichts…

Einer der Jungs fragt mich sofort mit großen Augen, was ich mit der Dose Malzbier vorhabe. Mein naives Herz wird schnell schwach und spontan drücke ich ihm die Dose in die Hand. Anfängerfehler. Soziologische Feldstudie Nr. 1 beginnt. Die zwei Jungs, die die Dose zuerst gesehen haben, beanspruchen diese für sich. Es dauert nicht lange und schon wollen auch alle anderen etwas abhaben. Das Geprügel kann losgehen. Es sieht aus wie drei hungrige Löwen in der Wüstensteppe, die sich um ein mageres Stück Zebra reißen.

Mir steigen Tränen in die Augen, als ich realisiere, wie durstig die Kinder sein müssen. Und selbst, wenn es kein Durst sein mag, so sind sie doch alle ganz verrückt nach etwas „Softdrink“, etwas Abwechslung. Saft kann man hier gar nicht kriegen. Cola, Fanta, Sprite und „Maltina“, das ist hier Flüssiggold – und repräsentiert gleichzeitig ein wenig den vermeintlichen Fortschritts-Import aus dem Westen, ganz ähnlich wie die vielen zerrissenen Ballack und Beckham-Trikots, die ich hier sehe.

Eine Kunstakademie in Deutschland präsentierte neulich auf Spiegel Online ihre Idee zur besseren HIV-Eindämmung in Afrika: Kondome im Deckel von Cola-Dosen. Kondom-Automaten oder anderweitige Verbreitung sieht man in der Tat sehr selten, Cola hingegen gibt es im hinterletzten Zipfel dieses Landes, das den vorletzten Platz auf dem Human-Development-Index einnimmt.

Aber zurück zum Kampf der Jungs: Ich gehe schließlich dazwischen und rufe „no fight, share!“. Damit gewinne ich wenigstens etwas Zeit. Zeit, mir zu überlegen, wie ich das Problem lösen kann. Die ideale Lösung gibt es nicht. Entweder hätte ich jedem eine Dose kaufen sollen oder sie lieber behalten sollen. Jetzt komme ich nicht mehr raus aus dem Dilemma. Ich frage, wer der Älteste ist, denn ich möchte die Verwaltung der Dose am ehesten dem Ältesten überlassen.

Dass es gerecht zugehen würde, ist ohnehin illusorisch, denn es sind knapp 20 Kinder, die sich um 0,3 Liter süßes Gesöff streiten. Meine Frage nach dem Alter ist also auch wenig hilfreich. Der Erste gibt sich für 21 aus, der zweite behauptet, dass der erste lügt und er selbst 24 sei. Keiner ist hier älter als 16, das sehe ich sofort. Aber versuchen kann man es ja mal.

Ich lache laut zurück und alle lachen mit mir, schließlich will es sich keiner verderben. Ich frage jeden einzelnen indirekt, wer von den anderen der älteste ist. Der mit den meisten Stimmen bekommt letztlich die Dose. Dennoch funktioniert die Verteilung nur mäßig. Jeder soll einen Schluck bekommen. Manche stellen sich zweimal an, die Kleinsten kommen natürlich am schlechtesten weg. Dennoch bedanken sich alle artig. Fair ist es nicht. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie es in einem Flüchtlingslager zugehen muss, wenn das World-Food-Programme Reissäcke verteilt.

Noch vor wenigen Momenten haben alle in einem Team Fußball gespielt. Aber in Situationen wie diesen ist sich jeder selbst der nächste. Letztlich wird dann aber doch weitergespielt. Ich drehe meine 3 Sekunden Filmchen bis ich wiederum unterbrochen werde. Seit der Malzbieraktion bin ich hier offenbar zum Boss gekürt worden. Der Ball ist über die Grenze hinaus geschossen und in den Verkaufsstand eines Händlers gerauscht. Es rasselt und die zum Verkauf stehenden Töpfe landen im Dreck. Jetzt will der Händler den Ball nicht wieder rausrücken. Ob ich mich da wirklich einmischen sollte?...

Ich riskiere es mal und spreche mit dem Händler. Ich versuche, mein bestes Krio hervor zu graben. „Give de children one more chance“. Der Händler ist sauer. Er scheint mich zwar einerseits zu respektieren, andererseits möchte ich diesen Respekt nicht missbrauchen. Manchmal sollte man lieber die Fresse halten, wenn man keine Ahnung hat. Kommt zwar von Dieter Nuhr, stimmt aber auch hier.

Nun ist es aber zu spät. Also schimpfe ich auch demonstrativ mi den Kindern. „Yu for be careful! No for play naja, play some place else, not so clos to de shop!“ Der Händler gibt sich zufrieden und mir den Ball. Den Kindern erkläre ich, dass sie einen Teil der Mannschaft zu Ball-Aufpassern ernennen müssen, die verhindern, dass der Ball in den kleinen Laden fliegt. Das Spielfeld wird umverlegt, bald rollt der Ball wieder. Konfliktresolution für Anfänger.

Allerdings ist es vermutlich ähnlich wie bei UN-Friedenseinsätzen: Sobald die Truppen abziehen, geht das Gerangel wieder los. Für nachhaltige Friedensschaffung müssten die Kids verstehen, was sie tun. Leider habe ich für nachhaltiges Peace-Building heute keine Zeit, denn schon kommt der nächste aufregende Fall….

… „Hey yu!“, ruft es von der Seite. Ich drehe mich um und erkenne Edward, den Batik-Verkäufer. Edward hatte uns schon die beiden letzten Tage auf der Straße belagert, denn die weißen NGO-Mitarbeiter sind nunmal leider so ziemlich seine einzige Kundschaft. Niemand sonst hier würde sich für ein paar 10-Tausend Leones einen stumpfen Wandbehang leisten, der ja doch nur das zeigt, was man selbst jeden Tag auf der Straße erleben kann. Also bleibt Edward sehr penetrant und ermahnt Florie und mich jedes Mal, wir sollten uns die Batiken doch wenigstens einmal ansehen, es gäbe ja kein „Force to buy“. Dieses Mal bin ich alleiniges Opfer, denn Florie ist ja noch im Workshop.

Also, denke ich mir, warum eigentlich nicht. Ich bin ja raus, um was zu erleben, also lasse ich mich doch einfach mal darauf ein und höre ihm ein Weilchen zu. „Yu know“, sage ich, „to be quite frank: I don‘t know wheda she really wants de Batik”. Seine Augen werden im Nu traurig. Er ist sichtlich enttäuscht, schließlich hatte Florie schon zugesagt, ihn heute abend anzurufen. „Hey hey, don‘t worry ma padi, I am gonna look at dem.”, erlöse ich ihn. Also, wohin gehts? Na klar, zu ihm ins Häuschen, in den Showroom sozusagen.

Stolz präsentiert mir Edward seine vier Wandbehängungen, sein ganzes Sortiment. Er macht sie nicht selbst, er praktiziert hier echtes Business, wie er es nennt. Buying und Selling eben. Die kleinen mit den wenigen Farben kosten 50.000, die großen 75.000. Das ist ein stolzer Preis, denke ich. Aber er hat ja auch einiges vor. Edward beginnt, mir zu erzählen….zu Beginn des Krieges ging es nach Guinea als Flüchtling, mit seiner Frau und seinen vier Kindern. Dort hat er dann 12 Jahre lang gelebt, bevor er über Freetown nach Kailahun zurückgekommen ist.

10 Häuser hatte sein Vater hier besessen, der hier als Paramount Chief einiges zu sagen hatte. Aber da der Kapitän des Dorfes das sinkende Boot eben nicht verlassen wollte, gibt es seinen Papa leider nicht mehr. Alle 10 Häuser sind fast bist auf die Grundmauern niedergebrannt und zerstört worden.

Nun will Edward aus eigener Kraft alles wieder aufbauen, Stück für Stück die Dächer rekonstruieren und einzelne Räume vermieten. Bislang hängen da nur UNICEF und UNHCR Planen. Bald kommt die Regensaison und dann fallen alle seine Planen und Pläne wortwörtlich ins Wasser. Er braucht also Wellblech. Finanziert mit Verkäufen aus ein paar Batiken…

Kann man da nein sagen? Ich habe tatsächlich nicht genug Geld dabei, also will mir Edward sogar meine Lieblings-Batik erstmal ohne Geld überlassen. „I trust yu. Yu kam back tonight to bring de moni, ok?“. Ich bin ehrlich gerührt und weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Ich schäme mich, dass ich auch nur eine Sekunde zögere, 10 Euro auszugeben für eine so schöne Erinnerung an meine Zeit in Sierra Leone und Edward, den Sohn des Paramount Chiefs aus Kailahun.

Am Abend dann komme ich tatsächlich zurück und bringe Florie gleich mit. Endergebnis: Wir beide finden jeweils ein Motiv, das uns gefällt und bekommen sogar noch Mengenrabatt. Mit Taschenlampe und Kerzenlicht versuchen wir, die Farben zu erkennen. Letztlich geht es ja auch gar nicht so sehr ums Bild selbst, sondern darum, Edward zu helfen. Als wir dann zahlen strahlt er vor Glück. Sein Tag ist gerettet. Und da Florie meine Batik auch so gut gefällt, bestellt sie sogar nochmal das gleiche Motiv für April, wenn sie das nächste Mal in Kailahun ist.

Einen Monat Vorfreude, für 3 Euro Gewinn – und vielleicht, irgendwann, ein Wellblech über dem Kopf.

Wednesday 19 March 2008

Auf nach Kailahun

Heute trete ich meine letzte wirkliche Reise innerhalb Sierra Leones an, bevor es noch einmal zur Entspannung nach Lakka und dann auch bald wieder in die Heimat geht. Ich begleite Florie, die Chefin des Bereiches „Governance“ auf einem Trip nach Kailahun. Kailahun liegt ganz im Südosten des Landes und ist für seine marginalisierte Situation unter den Entwicklungshelfern hier jedem ein Begriff.

Zunächst war Kailahun einer der ersten Orte, den die aus Liberia einfallenden Rebellen zu Beginn des Bürgerkrieges in ihre Gewalt bringen konnten – und erst im letzten Jahr soll es in der Hochburg der SLPP (Sierra Leone People‘s Party) wieder jede Menge Wahlbetrug gegeben haben. Kein besonders berauschender Ort also. Naja, jedenfalls in vielerlei Hinsicht. Dafür aber umso bedürftiger, was die Hilfestellung Oxfams und anderer NGOs angeht. Und eben mal was ganz anderes als Freetown.

Gegen 3 Uhr nachmittags ist es soweit, wir machen uns auf den Weg. Nur Florie und ich sind an Board, alle anderen bleiben diesmal hier. Mir ist das ganz recht, denn vor uns liegt eine Zwei-Tages-Fahrt und die Strecke ist zwar einerseits abenteuerlich aufregend. Andererseits kann es aber auch ganz schön anstrengend werden, wenn man dank fünf Beifahrern im Auto sitzt wie ein verunglückter Buddha im Schneidersitz.

Fahrer Augustin erklärt uns die Regeln. Er ist kein Oxfam-Fahrer, sondern von der 50/50 Group angestellt, unserer Partner-Organisation im Kampf um die Gleichberechtigung für Frauen in der Lokalpolitik. Erste Regel: Anschnallen. Zweite Regel: Wir sollen ihn unterhalten. Er hasst Langeweile. Da erwische ich mit meinem Ipod im Ohr natürlich gleich einen schlechten Start. Also gut. Musik aus. Zur Unterhaltung trage ich dennoch nicht wesentlich bei, denn Augustin übernimmt diesen Part auch gern selbst.

Während wir uns durch Schlaglöcher kämpfen, die jeden deutschen Gartenteich alt aussehen lassen, erzählt er uns zunächst von einer geheimen Sekte. Auslöser ist eine Art Vogelscheuche, die wir am Straßenrand auf einem Stuhl sitzen sehen. Allerdings handelt es sich in diesem Fall wohl eher um eine Voodoo-Puppe, die ihre Wachstumshormone nicht rechtzeitig abgesetzt hat.

Augustin warnt, dass wir niemandem erzählen dürften, von wem wir das Insider-Wissen haben. Andernfalls würde er demnächst selbst verhext…. Schnell zum nächsten Thema. Ich will lieber gar nicht zu viel wissen. Der Kleinkrieg und das Grüppchenbilden im Büro ist mir schon sektenartig genug, da fehlt mir gerade noch ein Fluch so kurz vorm Abflug.

Daher an dieser Stelle nur etwas leichtere Kost zum Themengebiet des Arberglaubens: Überfährt man einen Hund, so geschieht einem selbst ein Unfall. Läuft einem hingegen ein „Squirrel“, also so eine Art graues Eichhörnchen über den Weg, bringt das jede Menge Glück. Heute hatten wir zwei solcher grauen Hörnchen. Das klingt doch vielversprechend. Und irgendwie nach Essen? Richtig, Hörnchen kann man auch essen, nicht nur die vom Becker.

Glenn erzählte mir neulich, wie sein sudanesischer Fahrer im Süd-Sudan mitten auf der Fahrt ausstieg, um einem Geier eine halb angefressene Variante dieser Erdhörnchen zu entreißen. Begründung: Er hatte an dem Tag noch nicht gefrühstückt.

Wir verlassen uns dann doch lieber auf die Fleischspieße, die wir kurz vor Bo auf einem kleinen Markt kaufen. Zunächst einmal geht das „Pallava“ wieder los. Denn von den vier Händlern, die alle neben einander stehen und mir ihre Kost anpreisen, kann ich ja schließlich nur einen glücklich machen. Jeder sagt, sein Fleisch sei das beste, frischer als das der anderen und und und… auch vor dem Schlechtmachen der Konkurrenz wird nicht zurück geschreckt.

Ein bisschen geht es hier zu wie im Wahlkampf zwischen Clinton und Obama. Wenn die Argumente nicht reichen, genügt im Zweifel auch die Hautfarbe des anderen oder die Behauptung, dass er ein Monster sei. Das mit der Hautfarbe klappt hier leider nicht ganz so gut, denn der einzige, der hier beleidigt werden könnte, wäre in diesem Fall der Kunde selbst. Es bleibt also bei generellen Verschmähungen. Irgendwann wird mir das zu bunt. Da ich ohnehin hungrig genug für alle bin, leiste ich einen schnellen Beitrag zur lokalen Friedensstiftung und bestelle einfach bei jedem Stand einen Fleischspieß. Alle sind baff und bedanken sich, als hätte ich gerade ein Jahresabo für Fleischspieße unterschrieben. Das Zeug ist wirklich gut - vielleicht sollte ich das wirklich in Erwägung ziehen?

Weiter geht es mit bunten Geschichten von Augustin. Als nächstes erzählt er uns, dass er zuvor Diamantenschürfer war und sich erst gar nicht getraut hat, sich als Fahrer zu bewerben. Das Geld in der Diamantenmine war einfach zu knapp, da hat er sich dann doch aufgerafft. Eines Tages dann, als er mit seinen Zigaretten heimlich im Gebüsch war, um sich ein wenig von der Arbeit zu entspannen, kam der Anruf. Von 60 Bewerbern hatte er den Zuschlag bekommen. 300.000 Leones verdient er als Fahrer im Monat. 50.000 sendet er seiner Mutter in Kenema, 50.000 seiner Schwiegermutter. 150.000 gibt er selbst aus für sich und seine Frau… und 50.000 spart er jeden Monat.

Zur Erinnerung: 100.000 Leones reichen für einen 50kg Sack Reis. Davon lebt eine normale Familie 2 Wochen. Fleisch noch nicht eingerechnet. Ich bewundere, mit welchem Stolz und welcher Überzeugung er an den Job herangeht. Nun, im Vergleich zur Arbeit in der Diamantenmine ist selbst die Fahrt nach Kailahun angenehm wie eine Thai-Massage, nehme ich mal an.

Wir machen einen Zwischenstopp in Kenema, denn an einem einzigen Tag ist die Fahrt kaum zu schaffen. Übernachtet wird diesmal im Guesthouse des UNHCR, also zu Deutsch, des UN Hochkommissars für Flüchtlinge. Priorität haben also UNHCR Mitarbeiter, dennoch finden wir auch noch ein Plätzchen. Etwas überraschend ist lediglich die Preisstruktur. Eine Nacht im großen Doppelzimmer mit zwei Betten kostet 45.000, eine Nacht im Einzelzimmer 60.000 Leones, auch, wenn man nun alleine im Doppelzimmer schläft. Naja, wer hat auch behauptet, die UN agiere logisch.

Bevor wir schlafen gehen, rege ich die im Aufenthaltsraum abhängenden Wärter, Wächter, Aufpasser und Reinigungsleute noch zu einer Runde Billard an. Ja, in der Tat, wir haben einen schönen Billard-Tisch. Nur haben die Leute hier selbst noch nie gespielt. Ganz offensichtlich wurde der Tisch nur für die hohen UN-Gäste gekauft – von den „Locals“ hat hier keiner auch nur gewagt, eine der Kugeln zu berühren.

Nun, das Ergebnis sieht reichlich lustig aus. Zunächst einmal ist es gar nicht so einfach, die Regeln zu erklären. Jeder ist verwundert, warum er nun erst die weiße Kugel anstoßen muss. Und warum man nur entweder die halben oder die ganzen Kugeln spielen darf. Ich habe also eine spaßige Abend-Lektion in interkultureller Kommunikation, bevor ich mich ins Bett begebe. So stelle ich mir eigentlich einen richtigen Workshop vor: Erstmal gemeinsam Spaß haben und etwas entdecken, dann über die harten Fakten reden.

Am nächsten Tag dann gibt es am Frühstückstisch eine Schnell-Lektion in Sachen Missionierungs-Kunde. Neben mir sitzt Albertine, eine afrikanische Dame mittleren Alters in traditionsreichem Kostüm. Noch am letzten Abend sah sie ganz anders aus. Nun aber versucht sie bei Brot und Instant-Café die Frage zu klären, warum ich nun nicht Mitglied einer der zahlreichen christlichen Kirchen bin.

Ich erkläre ihr, dass meines Erachtens alle Religionen grundsätzlich eine ihnen gemeinsame Daseins-Berechtigung haben und, dass fast alle Religionen im Rahmen ihrer Institutionalisierung Gewaltakte zu verantworten haben. Ach ja, und dass ich an Menschlichkeit glaube und weniger an einen da oben. Dennoch, so ist sie überzeugt, gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nicht mit menschlichen Maßstäben erklären lassen. Da stimme ich zu. Außerdem will ich ja niemanden von seinem Glauben abbringen, so lange es im richtigen Sinne interpretiert wird.

Auf der Fahrt nach Kailahun sehen wir mehr und mehr schier undurchdringlichen Dschungel, abgebrannte Häuser und Menschen in Flüssen bei der täglichen Wäsche. Die Löcher in der Straße werden mit jedem gefahrenen Kilometer größer, der Landcruiser ist also wirklich gefordert, mein Rücken auch.

In Kailahun angekommen arbeiten wir ein paar Stunden im lokalen Oxfam-Büro, nehmen ein Lunch im „Peace-Garden“ und lassen uns schließlich vom Fahrer zum Oxfam-Guesthouse kutschieren. Dort wohnen Florie und ich mit Hannah aus Äthiopien und einer winzig kleinen Katze zusammen.

Zum Abendessen mache ich mich auf, um noch ein bisschen Brot und ein paar von diesen leckeren Fleischspießen zu besorgen. Sorglos stapfe ich die Straßen Kailahuns. Doch plötzlich verschwinden alle Leute von den Straßen, Kinder verstecken sich, Frauen rufen laut und aufgeregt nach ihnen. Es sieht aus wie eine düstere Szene in einer Kriegsdoku, in der alle vor den nahenden Rebellen um ihr Leben rennen. Ich versetze mich für eine Sekunde in diese Situation, stelle mir vor, wie es hier damals alles angefangen haben muss, 1991. Ich fühle mich ganz weit weg von allem, einsam, allein, schutzlos. Ich kann wohl nie ermessen, was Menschen hier gefühlt haben müssen, in jedem der 10 Jahre Bürgerkrieg. Heute ist es nur ein Unwetter, das zum Angriff übergeht.

Sand fegt durch die Straßen und sticht in meinen Augen, mein Brot wird nass. Es ist stockfinster. Ich renne die richtige Abzweigung hinunter, bin mir aber nicht sicher und renne zurück. Doch, es war richtig. Wieder zurück. Als der Wachmann dann endlich mein Klopfen im rauschenden Donnergrollen identifiziert, ist es zu spät: Ich bin klatschnass.

Wenigstens haben wir eine Mikrowelle, um unseren Tee zu erhitzen, denn wede
r funktioniert das Gas, noch haben wir eine elektronischen Wasserkocher. Die gemütliche Runde dauert leider nicht lang, denn Florie muss noch arbeiten und ich fühle mich nicht gut. Der Workshop für Genderfragen wird von DFID gesponsert. Das steht eigentlich für „Department for International Development“. Als ich nachts aufstehe und ohne Licht zum Klo stolpere, fällt mir dazu nur noch eines ein: DFID, das heißt „DurchFall im Dunkeln“.

Monday 17 March 2008

Und jetzt?

Noch zwei Wochen und ich bin wieder zu Hause, zu Hause im kalten Hamburg. Ich vermisse so einiges, besonders, wenn ich gerade nichts zu tun habe, das mich ablenken könnte vom Grübeln über Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart – und die Orte, an denen ich mich aufhalten kann, möchte und werde. Ich vermisse meine Familie, meine Freunde. Den Geruch des kalten Regens in Norddeutschland. Die Ampeln an den Straßen. Getrennten Müll. Parkettböden, Salami und Döner.

Ich vermisse es, mich in meiner Sprache ausdrücken zu können und so jedes Detail zu benennen und auszudrücken, das mich bewegt, das ich teilen möchte mit meinem Gesprächspartner. Ich vermisse es, auch über andere Dinge reden zu können als das Leid in Sierra Leone, Angola, Pakistan und das Versagen der korrupten Regierungen, NGOs und UN, hier nachhaltig Änderung zu bewirken.

Aber ich weiß auch, dass ich nie wieder wirklich zurück kann. Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los. Ich kann unmöglich in Hamburg einen Abend auf dem Kiez verbringen und dabei 40 Euro ausgeben ohne daran zu denken, dass ich gerade den Gegenwert eines Sackes Reis versoffen habe. Vielleicht werde ich es dennoch tun, aber werde ich es so unbefangen genießen können wie zuvor? Wohl kaum.

Ich schwimme zwischen den Welten. Und wenigstens damit bin ich nicht allein, denn tief drinnen geht es hier allen so. Nach außen hin übertreffen wir uns alle mit unseren Erfahrungen und den unzählbaren Sprachen, die wir sprechen. Wir tauschen Anekdoten aus fernen Ländern, dabei sind wir doch schon in einem der verrücktesten Orte der Welt. Wir stehen an einer Bar im Cape Sierra Hotel und feiern bei Schrimps den Erfolg des Wasserprojektes. Dabei war der Workshop eine Katastrophe.

Es steht zur Debatte, wer am ehesten ein Nahtod-Erlebnis hatte. Glenn im Kosovo, Daudi in Chad oder doch Habibi in Somalia? Was spielt es für eine Rolle, wenn wir doch alle nur eines wollen: Leben.

Aber wie genau geht das? Wie genau kann man selbst leben, wenn man immer nur unterwegs ist, um anderen vermeintlich beim Leben zu helfen? Wie kann man Familien zusammenbringen wollen und Flüchtlingen nach Hause verhelfen, wenn man selbst immer nur auf der Flucht vom eigenen zu Hause ist. Wenn man selbst seine Familie kaum noch zu sehen bekommt? Oder gar keine hat?

George erzählt mir von seiner letzten Freundin, einer Deutschen. Inzwischen ist sie in Haiti. Dort gibt es einen High-Profile Einsatz der UN, jede Menge Gefahrenzuschlag und Sonderzuschlag für die Ausbildung der Kinder und damit alles in allem fast 20.000 Dollar Gehalt im Monat. Ihn hat sie dafür verlassen müssen.

Ob er je heiraten oder Kinder haben wollte, frage ich ihn. „Im Moment weiß ich nicht, ob ich überhaupt eine Frau oder lieber einen Affen nehmen soll.“, sagt er. George ist 42 und war bislang nur unterwegs. Er hat ein abgebranntes Haus in Las Vegas, ein paar CDs in einer Mailänder Garage und einen Mastertitel in Middle-Eastern Studies aus Kairo. Ein zu Hause hat er jedoch nicht. Er ist ein weltgewandter, lieber Mensch, kein Wolf, der umherzieht, um James Bond zu spielen. Und dennoch treibt es ihn immer wieder raus. Genau wie mich.

Wonach suchen wir? Was soll das alles?

Ich habe keine Antwort auf diese Fragen. Es ist eine Geschichte vom Ole, der auszog, um das Leben zu verstehen. Was aber, wenn die Antwort lautet, dass es keine Antwort gibt? Was, wenn der Weg das Ziel ist und ich ewig auf der Suche bleiben werde?

Es gibt Lichtmomente. Momente, in denen Glenn und ich über die Kollegen lästern und deren Unverständnis und Ignoranz. Momente, in denen mir die Kinder in Malama um die Beine fallen und Mama Africa von den süßen Mangos in Makeni schwärmt. Momente, in denen sich alle freuen, wenn ich einen neuen Satz auf Krio lerne und das Essen lobe.

Aber wir wissen alle, dass es Augenblicke sind, die vorüber ziehen. Ich bin nicht stolz auf das, was ich hier getan habe. Ich bin dankbar, dass ich es erleben durfte, aber nicht stolz. Ich habe nichts geleistet. Sierra Leone hat mich verändert, nicht anders herum.

Und jetzt?

Saturday 15 March 2008

Heute ein Gedicht

Nachdem sich gestern der Inhalt meines Ipods mitsamt aller bisherigen geführten Interviews in Luft aufgelöst hat, ist mir heute nicht nach viel Schreiben zu Mute. Deshalb wähle ich die Form eines kurzen Gedichtes, um meinen Beobachtungen Ausdruck zu verleihen, geschrieben auf der Fahrt zum Büro :-)


Hey, white boy!

You took us out as slaves,
Away from our homes.

Just to send us to this place
After breaking our bones.

Our country is a mess

No food
No school
No water to access
…we couldn’t have much less

On our Lion hill
We have a town of free
Right next to the sea…
In the British High Commission
They drink a cup of tea

Whilst the most of we
Cannot pay the bill

To survive, we struggle every day
Just to eat some rice
But there simply is no way
With this crazy price


We offer you a place to stay
Cook you food and wash your clothes
For the future that may
At least raise our hopes

But then, white boy
You turn us down…
Just after our relationship has grown

You go and take a student loan
We cannot hide the tears
From this,
…we could have lived for years,
But now, again, we’re on our own.

We’ve been here for years
But never could recover
From our daily fears

Of one another

Our heart is empty

There is nothing left for trust
The only thing we have is iron will
But what we get is far from just.
We never chose to kill

Please,
don’t make it something that we must.

Friday 14 March 2008

Kacke am Dampfen

Nach fünf hektischen und aufregenden Wochen in Malama bin ich für meine letzten drei Wochen in Sierra Leone nun umgezogen. Mein Kollege, Boss und Freund Glenn hat mich eingeladen, zu ihm zu ziehen, hat er doch das große Apartment von Oxfam zur Verfügung, in dem es 3 Schlafzimmer, einen Fernseher, eine Küche und meistens Strom gibt. Zahlen muss ich dabei nichts, denn ich nehme ja niemandem etwas weg.

Ich sage nicht nein, denn trotz aller Liebe zu meiner Gastfamilie vermisse ich etwas Schlaf und fünf Minuten Privatsphäre am Abend – und streite das auch nicht ab, so blöd ich mir dabei auch vorkomme. Außerdem kann ich so jeden Morgen per Oxfam-Pick-Up zum Büro und muss nicht um ein Taxi kämpfen. Das sind die wenigen Komfort-Zonen, die man sich gönnt oder gönnen kann, wenn man einer von den ausländischen Experten ist, die hier für Oxfam arbeiten. Für mich eine Gelegenheit, mal in diesen Lebensstil hinein zu schnuppern.

Dennoch: Ich bin mir der Folgen bewusst und erzähle zunächst keinem in meiner Familie etwas von meinen Plänen. Ich möchte keinen beleidigen und auch nicht signalisieren, dass es mir in Malama nicht gefallen würde – denn es gefällt mir, sogar ausgesprochen gut. Ich weiß, es geht hier vor allem um ein bisschen Ehre. Jedem ist eigentlich klar, dass das kleine Haus ohnehin für die sechs Familienangehörigen schon viel zu klein ist – da fehlt es gerade noch an einem weißen Besucher, der meint, mal einen auf Buschmann machen zu müssen.

Komme ich nach Hause, so sitze ich bis zum Sonnenuntergang entweder tatenlos auf der Veranda oder im Wohnzimmer auf meinem Sessel, während jeder andere mit einem der Kinder oder der vielen entfernten Verwandten „besetzt“ ist.

Keine Frage also. Platztechnisch ist mein Umzug der richtige Schritt und hilft auch der Familie. Worum geht es also? Na klar. Ich bin der Gast, ich habe hier die Dienste genossen, das tägliche Essen, den morgendlichen Tee, die kleinen Orangen und Mangos am Abend und vor allem die liebevollen Gespräche und die Zuneigung der Kids und Familie auf der Veranda. Einfach gehen geht irgendwie nicht.

Und eigentlich finde ich selbst die weißen NGO-Jungs doof, die hinter hohen Sicherheitsmauern auf ihrem Balkon stehen und im wahrsten Sinne des Wortes von oben herab das Geschehen betrachten, dann aber meinen, die inneren Abläufe und Prozesse dieses Landes revolutionieren zu müssen. In den Mauerwerken stecken hier übrigens Glasscherben statt Stacheldraht….Aber gut, ich möchte eben beides kennenlernen – und mir, wie im Falle Malamas, ein eigenes Bild machen.

Ich warte also auf den richtigen Moment. Letztlich ist es gar nicht so schlimm und jeder kann verstehen, dass ich abends etwas Ruhe brauche und vielleicht auch einfach etwas Zeit, um an meiner Magisterarbeit zu arbeiten – das jedenfalls gebe ich vor, als kleine Notlüge. Ich ziehe also um zu Glenn und unseren anderen Mitbewohnern, den Kakerlaken, die es auch hier in der Küche und im Kühlschrank zu Genüge gibt.

Ich arbeite natürlich nicht an meiner Magisterabeit, sondern nur noch viel länger für Oxfam. Jeden Abend komme ich mit Glenn gemeinsam heim, wir teilen uns eine halbe Flasche Wein und versuchen, zu entspannen. Aber auch hier gibt es keinen echten Abschluss. Während im Hintergrund CNN mit neuen Opfern in Irak und Gaza dahin plänkelt, versuchen wir uns gegenseitig zu therapieren und die Frustration des Arbeitsalltages zu verarbeiten. „Debfriefing“ nennt man das auch unter Kennern des täglichen Burn-Outs der Entwicklungshilfe.

Glenn erzählt mir von vielen seiner vorherigen Erlebnisse im Sudan, in Angola und anderswo in der „dritten“ Welt. Einerseits tut das gut, da man sich mit dem Erlebten nicht alleine fühlt und sich mit den wiederkehrenden Mustern der fehlgesteuerten und gescheiterten Anläufe in diesen Ländern identifizieren kann. Andererseits fügt es nur noch mehr Last hinzu. Meine Schultern werden schwer, meine Ohren ein wenig taub. Ich stoße wieder und wieder an meine physischen und psychischen Grenzen – zumindest kann ich sie so langsam erahnen.

Ich kann hier viel über mich selbst lernen. Ich weiß, dass seelischer Frieden und physisches Wohlbefinden eng miteinander verknüpft sind. Und hier kriegen eben beide Faktoren ihr „Fett weg“. Das Essen ist nicht besonders ausgewogen, der Schlaf reicht nicht, die Schlaglöcher in den Straßen gehen auf Dauer in‘s Kreuz, der Lärm, der Diesel… und am schlimmsten: Der Bruder meiner Kollegin, der neulich noch im Krankenhaus lag, ist inzwischen gestorben. An Nierenversagen und Mangel an Doktoren. Mit 21. All das belastet. Ich habe es erwartet, als ich hier herkam und bin darauf vorbereitet. Aber der stete Tropfen höhlt letztlich eben doch jeden Stein.

Dazu kommen endlose Diskussionen mit Kollegen, Workshops, die ohne Ergebnisse bleiben und knallharte Verhandlungen mit Taxi-Fahrern, die einen für eine weiße Geldmaschine halten. Ich will nicht jammern, nur schildern, was ich empfinde.

Am besten wohl an einem Beispiel: Diese Woche haben Glenn und ich ein Treffen mit einem Unternehmen des privaten Sektors. Eine englische Firma. „Consultants“ sollen sie sein, diese vier Mitarbeiter, Berater für die Guma Valley Water Company. Guma verwaltet hier die gesamte Wasserversorgung in Freetown, leider aber nur mit erheblichen Mängeln.

Seit Jahren gibt es kein wirkliches Management der Systeme mehr, Menschen in den Slums der Stadt haben schlicht kein sauberes Wasser und schneiden aus Verzweiflung in die Versorgungsrohre. Mehr als 50% des Wassers gehen verloren an solchen Stellen und während die Ärmsten der Armen der Stadt fast verdursten, bekommen die Reichen nicht einmal eine Wasserrechnung. In den Slums, so hat unsere Oxfam-Studie herausgefunden, bezahlen Menschen durchaus für ihr Wasser, teilweise 20.000 – 30.000 Leones im Monat, was für manche fast 100% des Monatsverdienstes bedeutet.

Nur leider geht das Geld nicht an Guma, sondern an irgendwelche Mafiosos, die sich ohnehin private Leitungen auf ihren Grundstücken leisten können.

Die Ingenieure, die für diese Beratungsfirma nun extra aus England eingeflogen wurden, kümmert das wenig. Sie sollen in ihren fünf Wochen ein paar Empfehlungen ausarbeiten und Guma zeigen, wo’s lang geht. Oxfam soll der Partner im Kampf gegen die Armut sein und durch unsere Studie aufzeigen, was die Betroffenen selbst an Bedürfnissen und Lösungsvorschlägen anzubieten haben. So bekommt das ganze einen Anschein von „pro-poor“.

Nur leider bleibt wenig von unserer Arbeit der letzten Wochen hängen. Im heutigen Workshop bekommen wir gerade mal 10 Minuten zugesprochen für die Präsentation unserer Ergebnisse. Das reicht nicht einmal für die wesentlichen Diagramme, die wir seit 2 Wochen jeden Tag ausgearbeitet und berechnet haben.

Ich explodiere inzwischen fast vor Wissen über „open defecation“, „cut pipes“, und verschiedenen Plumps-Klo-Modellen. Ich will den Leuten von Guma und der Regierung am liebsten selbst in’s Gesicht sagen, was ich von ihnen halte. Da das leider nicht geht, verlasse ich nach dem Mittagessen frustriert den Workshop. Alle reden irgendwie aneinander vorbei und versuchen, einen Schuldigen zu finden. Ein weiterer Damm muss gebaut werden, sagt der eine. Nein, erst muss man eine Kläranlage haben und die Scheiße aus den Slums transportieren, sagt der andere. Und außerdem soll das alles schön viel kosten und den Leuten berechnet werden. Keiner scheint zu begreifen, dass wir nicht gegeneinander arbeiten müssen, sondern dass es sich vielmehr um ein Puzzle von vielen wichtigen Bausteinen handelt. Schon zum dritten Mal in den letzten 30 Jahren fliegen Consultants ein und schlagen genau dieselben Maßnahmen vor, wie schon vor 10 und 20 Jahren. Nur umgesetzt wurde bislang nichts.

Ich bin mit meinen Kräften am Ende und will mit dem Taxi in‘s Büro. Die Tür geht angeblich nicht recht zu, sagt der Fahrer. Neben mir sitzen bereits drei Passagiere, es ist also eng. Ich lehne mich raus, um die Tür von außen zu öffnen, denn von innen klappt es nicht. Beim Oxfam Büro angekommen will ich zahlen und greife in meine Tacshe. „Nein, nein“, sagt der Fahrer..“ schon in Ordnung“.

Ok, denke ich mir...nett von ihm. Als ich wenig später meinem Kollegen Henry etwas Geld geben will, damit er seine Uni-Bewerbung bezahlen kann, stelle ich fest, dass mir einer der Beifahrer 40.000 Leones gestohlen hat. Ich ärgere mich einen kurzen Moment. Aber dann denke ich: „Wow, das ist ein Monatslohn für viele Bewohner in Mabella.“ Wie es dort ausschaut, seht Ihr auf den Fotos – und die sprechen, so glaube ich, für sich.

Thursday 6 March 2008

Ganz schön haarig

Heute, endlich, gehe ich mal wieder zum Friseur, denke ich mir. Meine Haare wuchern inzwischen wie die faserige Bedeckung einer Kokosnuss.

Zunächst einmal aber ist Abschied angesagt, denn das liebe Filmteam aus Deutschland und Frankreich tritt den Heimweg an. Wir treffen uns gegen Nachmittag, ein letztes Mal zum gemeinsamen Schlemmen. Einer der beiden Franzosen zeigt mir noch ein paar Fotos von den Turtle Islands, einer Inselgruppe, die etwa 60 Kilometer entfernt von Sierra Leone im Atlantik liegt.

Leider habe ich diesen Ausflug verpasst. Es gibt dort eine heilige Insel mit einer geheimen Sekte und einem total spanenden Initiationsritus, erzählt er mir…. Und weiße Menschen haben die Bewohner noch nie gesehen, jeder hat seine Haut anfassen und mal fühlen wollen, ob sie echt ist. Mein deutscher Freund konnte auch nicht mit, Malaria. Dann war ich wenigstens nicht der Einzige.

Wir sitzen im „Family Kingdom“ Hotel in Aberdeen. So richtig kann ich mir diese entlegene Inselromantik gerade ohnehin nicht vorstellen, als mir wieder mal der Dieselgeruch der vorbei fahrenden Poda Poda (Mini-Busse für 8, besetzt mit 20 Leuten!) in die Nase steigt. Aber es gibt eben beides in Sierra Leone. Südseekitsch und Müllkippen-Flair. Genau das macht es eben aus.

Wir bestellen Kebab und Pommes, warten eine halbe Ewigkeit und schweigen uns in Abschiedsstimmung traurig an. Dann werden Adressen getauscht. Es ist das typische Ritual von „Expatriats“, wie Weiße in Entwicklungsländern meist genannt werden, erinnert mich aber auch an die vielen Visitenkarten und Nummern, die ich in New York gesammelt und nie angerufen habe. Für zwei Wochen lernt man sich kennen, teilt ein Bett in einem Bungalow und zum Hummer einen Joint. Und dann trennen sich die Wege wieder.

Mich packt die Lust, noch viele verschiedene Dokus zu drehen, mit diesen Jungs. Vielleicht über Rotarsch-Paviane im Hinterland von Vanuatu. Oder über einsame Krebskolonien auf Sokotra. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. The Neugier is the limit. Vielleicht ist aber auch einfach nur mein Kopf heiß gelaufen, unter dieser übertriebenen Haarpracht.

Das bringt mich zurück zum Thema. Nachdem die Jungs nun also das Speedboot zum Flughafen genommen haben, machen Ben (mein Gastvater) und ich uns auf den Weg zu weiteren geheimen Missionen. Zunächst einmal müssen wir einen berühmten Architekten besuchen, der gerade zum Chairman von irgendeiner wichtigen Kommission ernannt worden ist. Es werden Hände geschüttelt, Lobeshymnen ausgesprochen und ein bisschen Smalltalk ausgetauscht. Nur so, und nicht anders, macht man hier Kontakte, die sich irgendwann vielleicht in Reis und Leones auszahlen.

Weiter geht es mit einem Foto vom Architekten zu anderen Freunden von Ben, der lokalen Presse. Ben ist so gut vernetzt, dass wir auf der Straße ungefähr alle 5 Meter anhalten und jemanden grüßen müssen. Er erzählt mir von seinem ihm vorauseilenden Ruf, dass er selbst auf dem Mond noch jemanden treffen würde, der ihn kennt. Ich stelle mir Ben vor, wie er in einem Astronauten-Anzug Krio spricht. Naja, immerhin könnte ich dann auf dem Mond auch bei einer Gastfamilie schlafen, das hat doch was.

Das Büro der kleinen Zeitung liegt in einem versteckten Hinterhof im Stadtzentrum. Bei meinem Eintritt werden mir zunächst skeptische Blicke zugeworfen, denn schließlich wird hier sensible Pressearbeit betrieben. Drei beschäftigt wirkende junge Männer haben sich hinter einem Bildschirm versammelt, dem einzigen funktionierenden Computer. Sie vermitteln den Eindruck, als seien sie russische Journalisten, die versuchen über den Wahlbetrug Putins zu schreiben und sich hinter der Mattscheibe in Sicherheit bringen müssen.

So ganz unwahrscheinlich ist ein ähnliches Szenario auch in Sierra Leone nicht. Noch vor wenigen Tagen hörte ich von einem französischen Bauunternehmer, dass sein Geschäftspartner vergiftet worden ist. Er hatte sich mit einem hohen Minister gestritten, tja, andere Länder, andere Sitten.

Ben klärt die Kollegen dann aber doch schnell auf und zeigt stolz das Foto von dem Architekten. Der Mann scheint wirklich beliebt. Neben den Banken der Stadt hat er auch ein Resource-Center in Makeni entworfen, Ben‘s Heimatstadt. Dort sollen junge Menschen den Umgang mit Computern lernen und sich austauschen, um nicht auf der Straße mit Alkohol und Drogen abzuhängen.

Ich bewundere, mit welcher Kraft Ben seine Überzeugung in die Tat umsetzt, in diesem rauen Alltag. Er braucht dafür keine Proposals und keine internationalen NGOs in klimatisierten Geländewagen. Aber einen eisernen Willen.

Den brauchen wir auch, um uns anschließend durch die Straßen der Stadt zum Friseur zu kämpfen. Der Verkehr ist hier noch viel schlimmer als in den West- und Ost-Bezirken der Stadt. Aber Ben verspricht mir den besten Barber der Stadt. Als wir dann endlich ankommen, bin ich doch etwas irritiert. Bei dem Friseursalon handelt es sich um einen etwa 2qm kleinen Raum, ich muss mich sogar bücken, um mir meinen ersten Schnitt nicht gleich am Türrahmen zuzuziehen.

Innen riecht es nach einer Mischung aus Urin und Schweiß. Auf dem Boden liegen die haarigen Überreste der vorherigen Kundschaft. Ich bin ja offen für neue Erfahrungen, aber in diesem Moment muss auch ich mich anstrengen, meinen Ekel zu verbergen.

An der Wand hängen zum Glück zwei Poster von möglichen Schnitten, die meine Geruchsnerven für einen Moment mit einem aufkeimenden Lachen ablenken. Gezeigt werden 100 verschiedene schwarze Köpfe mit unterschiedlichen Frisuren. Der Gag ist nur, es handelt sich bei allen 100 um reine Maschinenschnitte, ich erkenne beim besten Willen keinen Unterschied.

Mir fällt auf, dass ich tatsächlich in meinem ganzen Leben noch nicht einen einzigen Schwarzen mit einem Mittelscheitel oder einer Gelfrisur gesehen habe. Insgeheim frage ich mich, ob die Haare hier einfach anders wachsen oder, ob es so eine Art Mode-Kodex ist, die einem Afrikaner verbietet, was anderes als Kahlkopf und Raster-Locken zu tragen? Vielleicht ist es auch einfach eine praktische Entscheidung, denn je weniger Haare, desto weniger heiß. Deshalb sind auch alle NGO-Autos weiß. Oder? :)

Unweit der beiden Poster entdecke ich dann aber zu meiner Erleichterung ein weiteres Poster mit einem Haarschnitt, der dem meinen (bzw. dem angestrebten) in etwa gleicht. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste dem Barber auf Krio meine Wünsche verdeutlichen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein Frisuren-Modell im üblichen Sinne, sondern, wie könnte es anders sein, um irgendeinen Fußballhelden der englischen Premier-League. Ich zeige also darauf und versuche, mich verständig zu machen.

Erstmal wird allerdings die Geldfrage geklärt, wie immer. Auf dem Rückweg vom Lakka-Beach las ich neulich auf einem Taxi die unmissverständliche Aufschrift: „No money, no friend“. Leider ist das in Sierra Leone seit dem Krieg wirklich soziale Realität.

„Black boys cost 3000, white boys 5000!“, sagt der Barber. Na, wenn das keine Haarpartheid ist. Haha. Ich sehe letztlich ein, dass meine Elvislocke schwerer zu schneiden ist als der tägliche Rundumkahlschlag per Maschine. Allerdings scheint der Barber auch die Schere zum ersten Mal seit Wochen benutzen zu müssen, denn bei jedem kleinen Schnitt fragt er mich, ob es so in Ordnung ist.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun und stelle mir vor, dass ich am nächsten Tag bei Oxfam erklären muss, ich sei von einer Horde wilder weiblicher Paviane überfallen und gelaust worden, um meinen Haarschnitt zu rechtfertigen. Am Ende wird doch alles gut…ich zahle meine 5000. Ben lässt sich noch schnell den Bart stutzen und weiter geht‘s, hinaus in’s nächtliche Getummel.

Der Rückweg nach Malama dauert dann geschlagene zwei Stunden. Mit Poda Podas schlagen wir uns von einem Kreisverkehr zum nächsten durch. Bei einem platzt ein Reifen und wir müssen wieder 30 Minuten warten, bis wir einen Platz im nächsten Selbstmordkommando auf Rollen ergattern.

Kurz vor Malama setzt mir plötzlich ein Unbekannter wild fuchtelnd ein Baby auf den Schoß und verschwindet im Dunkeln. Ich halte das Baby instinktiv fest. Erst später realisiere ich, dass ich gar nicht weiß, zu wem es gehört. Erst vor wenigen Tagen hatte mich mein Freund vom Filmteam gewarnt, als wir einen Motorradunfall am Straßenrand ignorieren mussten. „Wenn du den einsammelst, bist du komplett für den verantwortlich. Und wenn er dir abkratzt im Auto, darfst du die Beerdigung bezahlen und die Familie entschädigen. So läuft das hier.“

Ich male mir aus, wie ich das Baby adoptieren und mit nach Deutschland nehmen muss. Oder wie ich gezwungen werde, nach Sierra Leone zu emigrieren und Wassertüten zu verkaufen, um uns zu ernähren.

Als ich erfahre, dass es sich um den Zögling des Fahrers handelt, bin ich erleichtert. Ich genieße die Wärme von diesem kleinen Menschen, die kleinen Hände in meinen Händen. Ich bin glücklich. Und mir ist egal, dass das kitschig klingt.

Sunday 2 March 2008

Sweet, sweet Salone...

Es ist der zweite Maerz. Inzwischen ist mehr als die Haelfte meiner Zeit rum und eine lange Zeit vergangen, seit ich geschrieben habe.
Nun sitze ich im so genannten Internet-Café in Aberdeen, einem Stadtteil von Freetown. Nur paradoxerweise gibt es hier weder Café, noch Internet. Koffein gibt es in Form von Cola und kommunizieren kann man ja auch so. Der Server ist “down”, es dauert noch etliche, unabschaetzbare Minuten, bis alles wieder startklar ist.
Also nutze ich die Zeit, meinen Blogeintrag als Word-Dokument vorzubereiten und dann hineinzukopieren. So machen es die meisten Sierra Leoner hier ohnehin. Erst zu Hause auf einem Uralt-Computer vorschreiben, dann auf einen USB-Stick und im Internet nur schnell abschicken. Denn sonst wird es in der Regel zu teuer.

Aber nun zu den eigentlichen Geschehnissen der vergangenen Tage. Die letzte Woche war die schoenste Zeit meines Aufenthalts hier bisher. Endlich habe ich neben dem doch recht stressing-bedrueckendem Leben in Freetown auch die schoenen Seiten des Landes kennen gelernt, das, was Sierra Leone den Namen Sweet Salone eingebracht hat.

Zu verdanken habe ich dies vor allem einem deutsch-franzoesischen Filmteam, die hier derzeit Aufnahmen fuer eine Reportage ueber den Tourismus in Sierra Leone machen. Die Botschaft lautet: “Der Krieg ist vorbei, das Land hat so viel zu bieten. Hallo, liebe Investoren und Touristen, kommt zurueck!”… und ich glaube nach dieser Woche: das werden sie auch.

Los ging es fuer mich am Lakka-Beach, wo ich gemeinsam mit dem Team ein paar Tage in einfachen Bungalows verbracht habe. Die Straende sind nicht nur bildschoen, sondern bislang auch einfach so einsam, dass man nach wenigen Stunden Freetown komplett hinter sich laesst und denkt, man waere tatsaechlich auf einer dieser einsamen Inseln, von denen immer in Redewendungen die Rede ist. Neben uns und dem Personal der Bungalows gibt es hier nur am Wochenende ein paar andere Weissnasen, ueberwiegend natuerlich von hier taetigen NGOs oder UN-Personal. Ich treffe einen Arzt ohne Grenzen, den Chef-Anklaeger des Special Courts, einen alten Franzosen, der seit 20 Jahren in Sierra Leone gestrandet ist und so allerhand andere komische Leute. Aber immer nur gerade so viele, dass man sich nicht gestoert, sondern nur amuesiert fuehlt.

Das Personal ist hier sehr liebevoll, zumindest am Lakka-Beach. Paul gehoeren hier 3 Bungalows. Er spricht fliessend Franzoesisch wg. der vielen Fluechtlinge aus Guinea und der Elfenbeinkueste, die hier lange Zeit waren. Und wegen des franzoesischen Tourismus, der offenbar geboomt hat, lange vor dem Krieg. Dann gibt es da noch Cosmos, der seinen einen Bungalow liebevoll “Club-Med” nennt. Zumindest so lange, bis wir ihn darauf hinweisen, dass das Probleme geben koennte, sobald er tatsaechlich seinen Traum von einer Webseite umsetzen moechte und im franzoesischen Fernsehen schon sowieso. Also nennen wire s gemeinsam spontan um in “Cosmos: Restaurant and Beach-House”. Cool. Dennoch bleibt er nicht der einzige, der es mit ein bisschen charmant-naiver Marken-Piraterie zum schnellen Erfolg zu bringen versucht. Wenige Meter weiter trohnt auf einer Felseninsel das oertliche Hard Rock Hotel. Ist natuerlich keines. Obwohl, wenn man drueber nachdenkt: Es ist auf hartem Rock. Also stimmts ja doch, irgendwie.

Das Personal ist bei allen drei ein bunter Mix aus Kindern, zugelaufenen Frauen, entfernten Verwandten, Freunden, Beach Boys und ehemaligen Kindersoldaten, die jetzt als Nachtwaechter fungieren. Da hier alle dankbar fuer einen Job und ein bisschen Zugehoerigkeitsgefuehl sind, gibt es damit aber kein Problem, im Gegenteil. Alle helfen mit, auch wenn das nur unter Supervision der Chefs wirklich gut funktioniert. Denn auch am Strand wird, genau wie bei den NGOs, Arbeit on the “grassroots-level” betrieben. Allerdings in etwas anderem Sinne. Ab 9 Uhr morgens wird gekifft – denn das ist hier nicht nur billig, sondern auch einfach entspannt. Einer unserer Kellner erklaert uns das Prozedere sehr anschaulich: “Yu know, there are three kinds of meditation! High meditation, medium meditation and low meditation. I practice low meditation. But I always listen to Bob Marley.” Und in der Tat. In seinem Ohr sind durchgehend Kopfhoerer von seinem Handy. “I know a place, where we can carry on”… Recht hat der Bob, denn dieser Strand hat es wirklich in sich. Mein franzoesischer Kollege hat dafuer nur einen Kommentar uebrig: “Do you know any restaurant in the world, where you can sit on a beach like this and share a joint with your waiter?”.
...und, um das zu ergaenzen: Ich kenne auch keinen Strand, wo einen der Vermieter des Bungalows zum Bush-Boogie einlaedt. So heisst hier die Dorfparty am Samstag....fuer die wir leider viel zu muede waren.

Wir schwimmen morgens, mittags und abends mehrfach… dazwischen gibt es Hummer, Baracuda, ein paar Pommes und jede Menge Shrimps. Am liebsten mag ich unser “Night-Swimming”, denn da reflektiert das Plankton unter Wasser das Mondlicht. Es ist so dunkel, dass ich mir vorkomme wie Luke Skywalker mit meinen leuchtenden Schwimmbewegungen. Oben sehe ich nur die Sterne. Meine Freunde kann ich im Wasser nur erahnen und hoeren. “Man meint, man sei im Paradies”, sage ich zu meinem deutschen Freund. “Wieso man meint?”, fragt der zurueck. “Du BIST es.”

Jeden Tag fahren wir raus, an andere Straende. Und einer ueberbietet den naechsten. Sussex, Mama Beach, River No.2, Tokey Beach. Mit dem Landrover Defender geht es ueber Schotterpisten und Loch-Felder, die sich hier Strasse schimpfen. Wir fuehlen uns dreckig, sandig und salzig, aber einfach gut. Die Jungs reden alle fast ausschliesslich Franzoesisch, aber ich bin dankbar dafuer, denn so kann ich es endlich wieder ueben.

Wir drehen Interviews mit verschiedenen Dorf-Groessen, Fischern und Bewohnern und einem Libanesen, dem fast ganz Tokey-Beach gehoert. Fast alle sind dankbar fuer ein bisschen Ruhm. Geld wollen sie natuerlich dennoch, aber das haelt sich in der Regel im Rahmen. Ausser bei Buba. Buba hat nicht nur einen krummen linken Arm, sondern auch deshalb schon einen Goenner aus Frankreich. Er bewohnt das groesste Haus im Dorf und will uns die Geschichte vom Afrikana erzaehlen. Das Afrikana war ein 5-Sterne-Luxustraum in den 70er und 80er Jahren, hier am Tokey-Beach. Dann kam der Krieg und alles ging den Bach runter. Allerdings nicht etwa, weil die Rebellen alles angezuendet haetten.

“Rebellen haben sich hier gar nicht her getraut.”, erklaert uns der Libanese. Denn das Helipad des Hotels wurde auch Devils Island genannt. Und der hier stark vertretene Aberglaube hat auch die Rebellen ferngehalten. Stark. Dennoch sind nur Ruinen uebrig von dem einstigen Palast, denn die Dorfbewohner haben einfach alles gepluendert, was sich irgendwie verwerten lies. Saemtliches Holz, Plastikplanen im Pool, Fliesen. Alles.
Die Geschichte ist eindrucksvoll. Nie zuvor habe ich so viel Potential so 100%tig ungenutzt gesehen. Insgeheim bin ich aber fast auch ein bisschen dankbar, dass es hier noch nicht boomt. Paradox. Der Film macht Werbung fuer das Land, damit mehr Touristen kommen, aber beim Anblick eines einzigen weissbaeuchigen Briten mit albernen Turnschuhen kruemmen sich mir schon die Fussnaegel.

Nach dem Dreh im ehemaligen Afrikana wuenschen wir uns, wir haetten dem Libanesen noch besser zugehoert. Er hatte uns vor Buba gewarnt, der jetzt ploetzlich viel mehr als die vereinbarte Gage haben moechte – fuer seine Expertise. Wir geben ihm mehr als allen anderen, aber dennoch nur so viel, wie wir fuer angemessen halten. Was er fuer wenige Stunden verlangt, sprengt den Monatslohn eines lokalen Oxfam-Mitarbeiters. Wir denken uns nichts weiter und fahren davon, aber ein fader Nachgeschmack bleibt.

Nur wenige Tage spaeter aber holt uns die Geschichte ein. Zurueck am Tokey-Beach wollen wir ein paar Aufnahmen vom dahinter liegenden Dorf Tokey machen. Wir lernen den Dorf-Obersten kennen und gruessen auch den Policeman des Dorfes freundlich mite in paar Brocken Krio. Doch schon Sekunden spaeter taucht ploetzlich Buba auf, zeigt mit dem Finger auf meinen deutschen Freund und beschimpft ihn wuesst, ihn missbraucht, ja nicht bezahlt zu haben. Mich packt fuer einen kurzen Moment die Angst, denn binnen wenigen Minuten ist das ganze Dorf in Aufruhr. Fischer, Dorfbewohner, Kinder…alle versammeln sich in einer Traube um uns herum und bruellen wirr durcheinander. So verstehe ich nun wirklich kein Wort Krio mehr.

Die Franzosen wollen am liebsten die Flucht ergreifen und einfach fahren. Ich lenke ein und meine, wir sollten bleiben und unseren deutschen Boss sich selbst erklaeren lassen. Zum Glueck bewahren der Polizist und der Dorfchef die Ruhe. Keiner hier will Aerger mit ein paar Weissen, die eine Drehgenehmigung vom Informations-Minister dabei haben. Dennoch: Es gibt Klaerungsbedarf.

Als die zwei meinen Freund ins Schlepptau nehmen und mitsamt meinem Rucksack um die Ecke laufen, bin ich nochmal kurz skeptisch und laufe hinterher. Dann sehe ich, worauf es hinaus laeuft: Unsere erste traditionelle Gerichtsverhandlung.

In einer kleinen Strohhuette sitzen wir nun mit Buba, dem Anklaeger, dem Polzisten und den “Elderly”, den Alten und Weisen des Dorfes. Buba regt sich tierisch auf. Er erinnert uns an Gollum aus “Herr der Ringe”, denn noch vor wenigen Tagen war er die Freundlichkeit in Person, jetzt aber gestikuliert er wild herum, seine Augen scheinen fast heraus zu springen. Er beschuldigt uns abermals, wir haetten ihm 150 Dollar versprochen. Danach erklaeren wir unseren Standpunkt – mein deutscher Freund hier spricht zum Glueck nahezu fliessend Krio.

Schnell wird klar, dass das Dorf eigentlich keinen Aerger will. Der Polizist weisst Buba darauf hin, dass er eine offizielle Prozedur einleiten muesse, um das restliche Geld einzuklagen. Jedem hier ist aber klar, dass seine Forderungen jenseits von gut uns boese sind. Ein bisschen habe ich den Eindruck, manch einer hier ist sogar beleidigt, dass er sich so auffuehrt und meine, er verdiene so viel Geld fuer ein paar Stunden seiner Zeit. Dennoch: Ich bin beeindruckt, wie gut das Dorf organisiert ist – und von den Schlichtungsfaehigkeiten der Dorfweisen. Aber auch das afrikanische Temparament wurde heute eindrucksvoll demonstriert. Dass hier ein kleiner Streit auch schnell mal eskalieren kann, kann ich mir nur zu gut vorstellen nach dieser Auffuehrung. Zur Kroenung faengt ploetzlich ein Junge neben der Huette an, einen kleineren Jungen zu pruegeln. Wieder gibt es Schlichtungsbedarf. Dieses Mal aber nicht fuer uns. Wir uebergeben dem Anfuehrer Geld fuer einen Sack Reis, zu Gunsten der Community.
Und machen uns vom Acker. Schnell weg hier. Zurueck zur scheinbaren Ruhe des Meeres, sweet sweet Salone….