Thursday 6 March 2008

Ganz schön haarig

Heute, endlich, gehe ich mal wieder zum Friseur, denke ich mir. Meine Haare wuchern inzwischen wie die faserige Bedeckung einer Kokosnuss.

Zunächst einmal aber ist Abschied angesagt, denn das liebe Filmteam aus Deutschland und Frankreich tritt den Heimweg an. Wir treffen uns gegen Nachmittag, ein letztes Mal zum gemeinsamen Schlemmen. Einer der beiden Franzosen zeigt mir noch ein paar Fotos von den Turtle Islands, einer Inselgruppe, die etwa 60 Kilometer entfernt von Sierra Leone im Atlantik liegt.

Leider habe ich diesen Ausflug verpasst. Es gibt dort eine heilige Insel mit einer geheimen Sekte und einem total spanenden Initiationsritus, erzählt er mir…. Und weiße Menschen haben die Bewohner noch nie gesehen, jeder hat seine Haut anfassen und mal fühlen wollen, ob sie echt ist. Mein deutscher Freund konnte auch nicht mit, Malaria. Dann war ich wenigstens nicht der Einzige.

Wir sitzen im „Family Kingdom“ Hotel in Aberdeen. So richtig kann ich mir diese entlegene Inselromantik gerade ohnehin nicht vorstellen, als mir wieder mal der Dieselgeruch der vorbei fahrenden Poda Poda (Mini-Busse für 8, besetzt mit 20 Leuten!) in die Nase steigt. Aber es gibt eben beides in Sierra Leone. Südseekitsch und Müllkippen-Flair. Genau das macht es eben aus.

Wir bestellen Kebab und Pommes, warten eine halbe Ewigkeit und schweigen uns in Abschiedsstimmung traurig an. Dann werden Adressen getauscht. Es ist das typische Ritual von „Expatriats“, wie Weiße in Entwicklungsländern meist genannt werden, erinnert mich aber auch an die vielen Visitenkarten und Nummern, die ich in New York gesammelt und nie angerufen habe. Für zwei Wochen lernt man sich kennen, teilt ein Bett in einem Bungalow und zum Hummer einen Joint. Und dann trennen sich die Wege wieder.

Mich packt die Lust, noch viele verschiedene Dokus zu drehen, mit diesen Jungs. Vielleicht über Rotarsch-Paviane im Hinterland von Vanuatu. Oder über einsame Krebskolonien auf Sokotra. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. The Neugier is the limit. Vielleicht ist aber auch einfach nur mein Kopf heiß gelaufen, unter dieser übertriebenen Haarpracht.

Das bringt mich zurück zum Thema. Nachdem die Jungs nun also das Speedboot zum Flughafen genommen haben, machen Ben (mein Gastvater) und ich uns auf den Weg zu weiteren geheimen Missionen. Zunächst einmal müssen wir einen berühmten Architekten besuchen, der gerade zum Chairman von irgendeiner wichtigen Kommission ernannt worden ist. Es werden Hände geschüttelt, Lobeshymnen ausgesprochen und ein bisschen Smalltalk ausgetauscht. Nur so, und nicht anders, macht man hier Kontakte, die sich irgendwann vielleicht in Reis und Leones auszahlen.

Weiter geht es mit einem Foto vom Architekten zu anderen Freunden von Ben, der lokalen Presse. Ben ist so gut vernetzt, dass wir auf der Straße ungefähr alle 5 Meter anhalten und jemanden grüßen müssen. Er erzählt mir von seinem ihm vorauseilenden Ruf, dass er selbst auf dem Mond noch jemanden treffen würde, der ihn kennt. Ich stelle mir Ben vor, wie er in einem Astronauten-Anzug Krio spricht. Naja, immerhin könnte ich dann auf dem Mond auch bei einer Gastfamilie schlafen, das hat doch was.

Das Büro der kleinen Zeitung liegt in einem versteckten Hinterhof im Stadtzentrum. Bei meinem Eintritt werden mir zunächst skeptische Blicke zugeworfen, denn schließlich wird hier sensible Pressearbeit betrieben. Drei beschäftigt wirkende junge Männer haben sich hinter einem Bildschirm versammelt, dem einzigen funktionierenden Computer. Sie vermitteln den Eindruck, als seien sie russische Journalisten, die versuchen über den Wahlbetrug Putins zu schreiben und sich hinter der Mattscheibe in Sicherheit bringen müssen.

So ganz unwahrscheinlich ist ein ähnliches Szenario auch in Sierra Leone nicht. Noch vor wenigen Tagen hörte ich von einem französischen Bauunternehmer, dass sein Geschäftspartner vergiftet worden ist. Er hatte sich mit einem hohen Minister gestritten, tja, andere Länder, andere Sitten.

Ben klärt die Kollegen dann aber doch schnell auf und zeigt stolz das Foto von dem Architekten. Der Mann scheint wirklich beliebt. Neben den Banken der Stadt hat er auch ein Resource-Center in Makeni entworfen, Ben‘s Heimatstadt. Dort sollen junge Menschen den Umgang mit Computern lernen und sich austauschen, um nicht auf der Straße mit Alkohol und Drogen abzuhängen.

Ich bewundere, mit welcher Kraft Ben seine Überzeugung in die Tat umsetzt, in diesem rauen Alltag. Er braucht dafür keine Proposals und keine internationalen NGOs in klimatisierten Geländewagen. Aber einen eisernen Willen.

Den brauchen wir auch, um uns anschließend durch die Straßen der Stadt zum Friseur zu kämpfen. Der Verkehr ist hier noch viel schlimmer als in den West- und Ost-Bezirken der Stadt. Aber Ben verspricht mir den besten Barber der Stadt. Als wir dann endlich ankommen, bin ich doch etwas irritiert. Bei dem Friseursalon handelt es sich um einen etwa 2qm kleinen Raum, ich muss mich sogar bücken, um mir meinen ersten Schnitt nicht gleich am Türrahmen zuzuziehen.

Innen riecht es nach einer Mischung aus Urin und Schweiß. Auf dem Boden liegen die haarigen Überreste der vorherigen Kundschaft. Ich bin ja offen für neue Erfahrungen, aber in diesem Moment muss auch ich mich anstrengen, meinen Ekel zu verbergen.

An der Wand hängen zum Glück zwei Poster von möglichen Schnitten, die meine Geruchsnerven für einen Moment mit einem aufkeimenden Lachen ablenken. Gezeigt werden 100 verschiedene schwarze Köpfe mit unterschiedlichen Frisuren. Der Gag ist nur, es handelt sich bei allen 100 um reine Maschinenschnitte, ich erkenne beim besten Willen keinen Unterschied.

Mir fällt auf, dass ich tatsächlich in meinem ganzen Leben noch nicht einen einzigen Schwarzen mit einem Mittelscheitel oder einer Gelfrisur gesehen habe. Insgeheim frage ich mich, ob die Haare hier einfach anders wachsen oder, ob es so eine Art Mode-Kodex ist, die einem Afrikaner verbietet, was anderes als Kahlkopf und Raster-Locken zu tragen? Vielleicht ist es auch einfach eine praktische Entscheidung, denn je weniger Haare, desto weniger heiß. Deshalb sind auch alle NGO-Autos weiß. Oder? :)

Unweit der beiden Poster entdecke ich dann aber zu meiner Erleichterung ein weiteres Poster mit einem Haarschnitt, der dem meinen (bzw. dem angestrebten) in etwa gleicht. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste dem Barber auf Krio meine Wünsche verdeutlichen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein Frisuren-Modell im üblichen Sinne, sondern, wie könnte es anders sein, um irgendeinen Fußballhelden der englischen Premier-League. Ich zeige also darauf und versuche, mich verständig zu machen.

Erstmal wird allerdings die Geldfrage geklärt, wie immer. Auf dem Rückweg vom Lakka-Beach las ich neulich auf einem Taxi die unmissverständliche Aufschrift: „No money, no friend“. Leider ist das in Sierra Leone seit dem Krieg wirklich soziale Realität.

„Black boys cost 3000, white boys 5000!“, sagt der Barber. Na, wenn das keine Haarpartheid ist. Haha. Ich sehe letztlich ein, dass meine Elvislocke schwerer zu schneiden ist als der tägliche Rundumkahlschlag per Maschine. Allerdings scheint der Barber auch die Schere zum ersten Mal seit Wochen benutzen zu müssen, denn bei jedem kleinen Schnitt fragt er mich, ob es so in Ordnung ist.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun und stelle mir vor, dass ich am nächsten Tag bei Oxfam erklären muss, ich sei von einer Horde wilder weiblicher Paviane überfallen und gelaust worden, um meinen Haarschnitt zu rechtfertigen. Am Ende wird doch alles gut…ich zahle meine 5000. Ben lässt sich noch schnell den Bart stutzen und weiter geht‘s, hinaus in’s nächtliche Getummel.

Der Rückweg nach Malama dauert dann geschlagene zwei Stunden. Mit Poda Podas schlagen wir uns von einem Kreisverkehr zum nächsten durch. Bei einem platzt ein Reifen und wir müssen wieder 30 Minuten warten, bis wir einen Platz im nächsten Selbstmordkommando auf Rollen ergattern.

Kurz vor Malama setzt mir plötzlich ein Unbekannter wild fuchtelnd ein Baby auf den Schoß und verschwindet im Dunkeln. Ich halte das Baby instinktiv fest. Erst später realisiere ich, dass ich gar nicht weiß, zu wem es gehört. Erst vor wenigen Tagen hatte mich mein Freund vom Filmteam gewarnt, als wir einen Motorradunfall am Straßenrand ignorieren mussten. „Wenn du den einsammelst, bist du komplett für den verantwortlich. Und wenn er dir abkratzt im Auto, darfst du die Beerdigung bezahlen und die Familie entschädigen. So läuft das hier.“

Ich male mir aus, wie ich das Baby adoptieren und mit nach Deutschland nehmen muss. Oder wie ich gezwungen werde, nach Sierra Leone zu emigrieren und Wassertüten zu verkaufen, um uns zu ernähren.

Als ich erfahre, dass es sich um den Zögling des Fahrers handelt, bin ich erleichtert. Ich genieße die Wärme von diesem kleinen Menschen, die kleinen Hände in meinen Händen. Ich bin glücklich. Und mir ist egal, dass das kitschig klingt.

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