Monday 17 March 2008

Und jetzt?

Noch zwei Wochen und ich bin wieder zu Hause, zu Hause im kalten Hamburg. Ich vermisse so einiges, besonders, wenn ich gerade nichts zu tun habe, das mich ablenken könnte vom Grübeln über Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart – und die Orte, an denen ich mich aufhalten kann, möchte und werde. Ich vermisse meine Familie, meine Freunde. Den Geruch des kalten Regens in Norddeutschland. Die Ampeln an den Straßen. Getrennten Müll. Parkettböden, Salami und Döner.

Ich vermisse es, mich in meiner Sprache ausdrücken zu können und so jedes Detail zu benennen und auszudrücken, das mich bewegt, das ich teilen möchte mit meinem Gesprächspartner. Ich vermisse es, auch über andere Dinge reden zu können als das Leid in Sierra Leone, Angola, Pakistan und das Versagen der korrupten Regierungen, NGOs und UN, hier nachhaltig Änderung zu bewirken.

Aber ich weiß auch, dass ich nie wieder wirklich zurück kann. Die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los. Ich kann unmöglich in Hamburg einen Abend auf dem Kiez verbringen und dabei 40 Euro ausgeben ohne daran zu denken, dass ich gerade den Gegenwert eines Sackes Reis versoffen habe. Vielleicht werde ich es dennoch tun, aber werde ich es so unbefangen genießen können wie zuvor? Wohl kaum.

Ich schwimme zwischen den Welten. Und wenigstens damit bin ich nicht allein, denn tief drinnen geht es hier allen so. Nach außen hin übertreffen wir uns alle mit unseren Erfahrungen und den unzählbaren Sprachen, die wir sprechen. Wir tauschen Anekdoten aus fernen Ländern, dabei sind wir doch schon in einem der verrücktesten Orte der Welt. Wir stehen an einer Bar im Cape Sierra Hotel und feiern bei Schrimps den Erfolg des Wasserprojektes. Dabei war der Workshop eine Katastrophe.

Es steht zur Debatte, wer am ehesten ein Nahtod-Erlebnis hatte. Glenn im Kosovo, Daudi in Chad oder doch Habibi in Somalia? Was spielt es für eine Rolle, wenn wir doch alle nur eines wollen: Leben.

Aber wie genau geht das? Wie genau kann man selbst leben, wenn man immer nur unterwegs ist, um anderen vermeintlich beim Leben zu helfen? Wie kann man Familien zusammenbringen wollen und Flüchtlingen nach Hause verhelfen, wenn man selbst immer nur auf der Flucht vom eigenen zu Hause ist. Wenn man selbst seine Familie kaum noch zu sehen bekommt? Oder gar keine hat?

George erzählt mir von seiner letzten Freundin, einer Deutschen. Inzwischen ist sie in Haiti. Dort gibt es einen High-Profile Einsatz der UN, jede Menge Gefahrenzuschlag und Sonderzuschlag für die Ausbildung der Kinder und damit alles in allem fast 20.000 Dollar Gehalt im Monat. Ihn hat sie dafür verlassen müssen.

Ob er je heiraten oder Kinder haben wollte, frage ich ihn. „Im Moment weiß ich nicht, ob ich überhaupt eine Frau oder lieber einen Affen nehmen soll.“, sagt er. George ist 42 und war bislang nur unterwegs. Er hat ein abgebranntes Haus in Las Vegas, ein paar CDs in einer Mailänder Garage und einen Mastertitel in Middle-Eastern Studies aus Kairo. Ein zu Hause hat er jedoch nicht. Er ist ein weltgewandter, lieber Mensch, kein Wolf, der umherzieht, um James Bond zu spielen. Und dennoch treibt es ihn immer wieder raus. Genau wie mich.

Wonach suchen wir? Was soll das alles?

Ich habe keine Antwort auf diese Fragen. Es ist eine Geschichte vom Ole, der auszog, um das Leben zu verstehen. Was aber, wenn die Antwort lautet, dass es keine Antwort gibt? Was, wenn der Weg das Ziel ist und ich ewig auf der Suche bleiben werde?

Es gibt Lichtmomente. Momente, in denen Glenn und ich über die Kollegen lästern und deren Unverständnis und Ignoranz. Momente, in denen mir die Kinder in Malama um die Beine fallen und Mama Africa von den süßen Mangos in Makeni schwärmt. Momente, in denen sich alle freuen, wenn ich einen neuen Satz auf Krio lerne und das Essen lobe.

Aber wir wissen alle, dass es Augenblicke sind, die vorüber ziehen. Ich bin nicht stolz auf das, was ich hier getan habe. Ich bin dankbar, dass ich es erleben durfte, aber nicht stolz. Ich habe nichts geleistet. Sierra Leone hat mich verändert, nicht anders herum.

Und jetzt?

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