Wednesday 19 March 2008

Auf nach Kailahun

Heute trete ich meine letzte wirkliche Reise innerhalb Sierra Leones an, bevor es noch einmal zur Entspannung nach Lakka und dann auch bald wieder in die Heimat geht. Ich begleite Florie, die Chefin des Bereiches „Governance“ auf einem Trip nach Kailahun. Kailahun liegt ganz im Südosten des Landes und ist für seine marginalisierte Situation unter den Entwicklungshelfern hier jedem ein Begriff.

Zunächst war Kailahun einer der ersten Orte, den die aus Liberia einfallenden Rebellen zu Beginn des Bürgerkrieges in ihre Gewalt bringen konnten – und erst im letzten Jahr soll es in der Hochburg der SLPP (Sierra Leone People‘s Party) wieder jede Menge Wahlbetrug gegeben haben. Kein besonders berauschender Ort also. Naja, jedenfalls in vielerlei Hinsicht. Dafür aber umso bedürftiger, was die Hilfestellung Oxfams und anderer NGOs angeht. Und eben mal was ganz anderes als Freetown.

Gegen 3 Uhr nachmittags ist es soweit, wir machen uns auf den Weg. Nur Florie und ich sind an Board, alle anderen bleiben diesmal hier. Mir ist das ganz recht, denn vor uns liegt eine Zwei-Tages-Fahrt und die Strecke ist zwar einerseits abenteuerlich aufregend. Andererseits kann es aber auch ganz schön anstrengend werden, wenn man dank fünf Beifahrern im Auto sitzt wie ein verunglückter Buddha im Schneidersitz.

Fahrer Augustin erklärt uns die Regeln. Er ist kein Oxfam-Fahrer, sondern von der 50/50 Group angestellt, unserer Partner-Organisation im Kampf um die Gleichberechtigung für Frauen in der Lokalpolitik. Erste Regel: Anschnallen. Zweite Regel: Wir sollen ihn unterhalten. Er hasst Langeweile. Da erwische ich mit meinem Ipod im Ohr natürlich gleich einen schlechten Start. Also gut. Musik aus. Zur Unterhaltung trage ich dennoch nicht wesentlich bei, denn Augustin übernimmt diesen Part auch gern selbst.

Während wir uns durch Schlaglöcher kämpfen, die jeden deutschen Gartenteich alt aussehen lassen, erzählt er uns zunächst von einer geheimen Sekte. Auslöser ist eine Art Vogelscheuche, die wir am Straßenrand auf einem Stuhl sitzen sehen. Allerdings handelt es sich in diesem Fall wohl eher um eine Voodoo-Puppe, die ihre Wachstumshormone nicht rechtzeitig abgesetzt hat.

Augustin warnt, dass wir niemandem erzählen dürften, von wem wir das Insider-Wissen haben. Andernfalls würde er demnächst selbst verhext…. Schnell zum nächsten Thema. Ich will lieber gar nicht zu viel wissen. Der Kleinkrieg und das Grüppchenbilden im Büro ist mir schon sektenartig genug, da fehlt mir gerade noch ein Fluch so kurz vorm Abflug.

Daher an dieser Stelle nur etwas leichtere Kost zum Themengebiet des Arberglaubens: Überfährt man einen Hund, so geschieht einem selbst ein Unfall. Läuft einem hingegen ein „Squirrel“, also so eine Art graues Eichhörnchen über den Weg, bringt das jede Menge Glück. Heute hatten wir zwei solcher grauen Hörnchen. Das klingt doch vielversprechend. Und irgendwie nach Essen? Richtig, Hörnchen kann man auch essen, nicht nur die vom Becker.

Glenn erzählte mir neulich, wie sein sudanesischer Fahrer im Süd-Sudan mitten auf der Fahrt ausstieg, um einem Geier eine halb angefressene Variante dieser Erdhörnchen zu entreißen. Begründung: Er hatte an dem Tag noch nicht gefrühstückt.

Wir verlassen uns dann doch lieber auf die Fleischspieße, die wir kurz vor Bo auf einem kleinen Markt kaufen. Zunächst einmal geht das „Pallava“ wieder los. Denn von den vier Händlern, die alle neben einander stehen und mir ihre Kost anpreisen, kann ich ja schließlich nur einen glücklich machen. Jeder sagt, sein Fleisch sei das beste, frischer als das der anderen und und und… auch vor dem Schlechtmachen der Konkurrenz wird nicht zurück geschreckt.

Ein bisschen geht es hier zu wie im Wahlkampf zwischen Clinton und Obama. Wenn die Argumente nicht reichen, genügt im Zweifel auch die Hautfarbe des anderen oder die Behauptung, dass er ein Monster sei. Das mit der Hautfarbe klappt hier leider nicht ganz so gut, denn der einzige, der hier beleidigt werden könnte, wäre in diesem Fall der Kunde selbst. Es bleibt also bei generellen Verschmähungen. Irgendwann wird mir das zu bunt. Da ich ohnehin hungrig genug für alle bin, leiste ich einen schnellen Beitrag zur lokalen Friedensstiftung und bestelle einfach bei jedem Stand einen Fleischspieß. Alle sind baff und bedanken sich, als hätte ich gerade ein Jahresabo für Fleischspieße unterschrieben. Das Zeug ist wirklich gut - vielleicht sollte ich das wirklich in Erwägung ziehen?

Weiter geht es mit bunten Geschichten von Augustin. Als nächstes erzählt er uns, dass er zuvor Diamantenschürfer war und sich erst gar nicht getraut hat, sich als Fahrer zu bewerben. Das Geld in der Diamantenmine war einfach zu knapp, da hat er sich dann doch aufgerafft. Eines Tages dann, als er mit seinen Zigaretten heimlich im Gebüsch war, um sich ein wenig von der Arbeit zu entspannen, kam der Anruf. Von 60 Bewerbern hatte er den Zuschlag bekommen. 300.000 Leones verdient er als Fahrer im Monat. 50.000 sendet er seiner Mutter in Kenema, 50.000 seiner Schwiegermutter. 150.000 gibt er selbst aus für sich und seine Frau… und 50.000 spart er jeden Monat.

Zur Erinnerung: 100.000 Leones reichen für einen 50kg Sack Reis. Davon lebt eine normale Familie 2 Wochen. Fleisch noch nicht eingerechnet. Ich bewundere, mit welchem Stolz und welcher Überzeugung er an den Job herangeht. Nun, im Vergleich zur Arbeit in der Diamantenmine ist selbst die Fahrt nach Kailahun angenehm wie eine Thai-Massage, nehme ich mal an.

Wir machen einen Zwischenstopp in Kenema, denn an einem einzigen Tag ist die Fahrt kaum zu schaffen. Übernachtet wird diesmal im Guesthouse des UNHCR, also zu Deutsch, des UN Hochkommissars für Flüchtlinge. Priorität haben also UNHCR Mitarbeiter, dennoch finden wir auch noch ein Plätzchen. Etwas überraschend ist lediglich die Preisstruktur. Eine Nacht im großen Doppelzimmer mit zwei Betten kostet 45.000, eine Nacht im Einzelzimmer 60.000 Leones, auch, wenn man nun alleine im Doppelzimmer schläft. Naja, wer hat auch behauptet, die UN agiere logisch.

Bevor wir schlafen gehen, rege ich die im Aufenthaltsraum abhängenden Wärter, Wächter, Aufpasser und Reinigungsleute noch zu einer Runde Billard an. Ja, in der Tat, wir haben einen schönen Billard-Tisch. Nur haben die Leute hier selbst noch nie gespielt. Ganz offensichtlich wurde der Tisch nur für die hohen UN-Gäste gekauft – von den „Locals“ hat hier keiner auch nur gewagt, eine der Kugeln zu berühren.

Nun, das Ergebnis sieht reichlich lustig aus. Zunächst einmal ist es gar nicht so einfach, die Regeln zu erklären. Jeder ist verwundert, warum er nun erst die weiße Kugel anstoßen muss. Und warum man nur entweder die halben oder die ganzen Kugeln spielen darf. Ich habe also eine spaßige Abend-Lektion in interkultureller Kommunikation, bevor ich mich ins Bett begebe. So stelle ich mir eigentlich einen richtigen Workshop vor: Erstmal gemeinsam Spaß haben und etwas entdecken, dann über die harten Fakten reden.

Am nächsten Tag dann gibt es am Frühstückstisch eine Schnell-Lektion in Sachen Missionierungs-Kunde. Neben mir sitzt Albertine, eine afrikanische Dame mittleren Alters in traditionsreichem Kostüm. Noch am letzten Abend sah sie ganz anders aus. Nun aber versucht sie bei Brot und Instant-Café die Frage zu klären, warum ich nun nicht Mitglied einer der zahlreichen christlichen Kirchen bin.

Ich erkläre ihr, dass meines Erachtens alle Religionen grundsätzlich eine ihnen gemeinsame Daseins-Berechtigung haben und, dass fast alle Religionen im Rahmen ihrer Institutionalisierung Gewaltakte zu verantworten haben. Ach ja, und dass ich an Menschlichkeit glaube und weniger an einen da oben. Dennoch, so ist sie überzeugt, gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nicht mit menschlichen Maßstäben erklären lassen. Da stimme ich zu. Außerdem will ich ja niemanden von seinem Glauben abbringen, so lange es im richtigen Sinne interpretiert wird.

Auf der Fahrt nach Kailahun sehen wir mehr und mehr schier undurchdringlichen Dschungel, abgebrannte Häuser und Menschen in Flüssen bei der täglichen Wäsche. Die Löcher in der Straße werden mit jedem gefahrenen Kilometer größer, der Landcruiser ist also wirklich gefordert, mein Rücken auch.

In Kailahun angekommen arbeiten wir ein paar Stunden im lokalen Oxfam-Büro, nehmen ein Lunch im „Peace-Garden“ und lassen uns schließlich vom Fahrer zum Oxfam-Guesthouse kutschieren. Dort wohnen Florie und ich mit Hannah aus Äthiopien und einer winzig kleinen Katze zusammen.

Zum Abendessen mache ich mich auf, um noch ein bisschen Brot und ein paar von diesen leckeren Fleischspießen zu besorgen. Sorglos stapfe ich die Straßen Kailahuns. Doch plötzlich verschwinden alle Leute von den Straßen, Kinder verstecken sich, Frauen rufen laut und aufgeregt nach ihnen. Es sieht aus wie eine düstere Szene in einer Kriegsdoku, in der alle vor den nahenden Rebellen um ihr Leben rennen. Ich versetze mich für eine Sekunde in diese Situation, stelle mir vor, wie es hier damals alles angefangen haben muss, 1991. Ich fühle mich ganz weit weg von allem, einsam, allein, schutzlos. Ich kann wohl nie ermessen, was Menschen hier gefühlt haben müssen, in jedem der 10 Jahre Bürgerkrieg. Heute ist es nur ein Unwetter, das zum Angriff übergeht.

Sand fegt durch die Straßen und sticht in meinen Augen, mein Brot wird nass. Es ist stockfinster. Ich renne die richtige Abzweigung hinunter, bin mir aber nicht sicher und renne zurück. Doch, es war richtig. Wieder zurück. Als der Wachmann dann endlich mein Klopfen im rauschenden Donnergrollen identifiziert, ist es zu spät: Ich bin klatschnass.

Wenigstens haben wir eine Mikrowelle, um unseren Tee zu erhitzen, denn wede
r funktioniert das Gas, noch haben wir eine elektronischen Wasserkocher. Die gemütliche Runde dauert leider nicht lang, denn Florie muss noch arbeiten und ich fühle mich nicht gut. Der Workshop für Genderfragen wird von DFID gesponsert. Das steht eigentlich für „Department for International Development“. Als ich nachts aufstehe und ohne Licht zum Klo stolpere, fällt mir dazu nur noch eines ein: DFID, das heißt „DurchFall im Dunkeln“.

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