Zunächst war Kailahun einer der ersten Orte, den die aus Liberia einfallenden Rebellen zu Beginn des Bürgerkrieges in ihre Gewalt bringen konnten – und erst im letzten Jahr soll es in der Hochburg der SLPP (Sierra Leone People‘s Party) wieder jede Menge Wahlbetrug gegeben haben. Kein besonders berauschender Ort also. Naja, jedenfalls in vielerlei Hinsicht. Dafür aber umso bedürftiger, was die Hilfestellung Oxfams und anderer NGOs angeht. Und eben mal was ganz anderes als Freetown.
Fahrer Augustin erklärt uns die Regeln. Er ist kein Oxfam-Fahrer, sondern von der 50/50 Group angestellt, unserer Partner-Organisation im Kampf um die Gleichberechtigung für Frauen in der Lokalpolitik. Erste Regel: Anschnallen. Zweite Regel: Wir sollen ihn unterhalten. Er hasst Langeweile. Da erwische ich mit meinem Ipod im Ohr natürlich gleich einen schlechten Start. Also gut. Musik aus. Zur Unterhaltung trage ich dennoch nicht wesentlich bei, denn Augustin übernimmt diesen Part auch gern selbst.
Augustin warnt, dass wir niemandem erzählen dürften, von wem wir das Insider-Wissen haben. Andernfalls würde er demnächst selbst verhext…. Schnell zum nächsten Thema. Ich will lieber gar nicht zu viel wissen. Der Kleinkrieg und das Grüppchenbilden im Büro ist mir schon sektenartig genug, da fehlt mir gerade noch ein Fluch so kurz vorm Abflug.
Daher an dieser Stelle nur etwas leichtere Kost zum Themengebiet des Arberglaubens: Überfährt man einen Hund, so geschieht einem selbst ein Unfall. Läuft einem hingegen ein „Squirrel“, also so eine Art graues Eichhörnchen über den Weg, bringt das jede Menge Glück. Heute hatten wir zwei solcher grauen Hörnchen. Das klingt doch vielversprechend. Und irgendwie nach Essen? Richtig, Hörnchen kann man auch essen, nicht nur die vom Becker.
Glenn erzählte mir neulich, wie sein sudanesischer Fahrer im Süd-Sudan mitten auf der Fahrt ausstieg, um einem Geier eine halb angefressene Variante dieser Erdhörnchen zu entreißen. Begründung: Er hatte an dem Tag noch nicht gefrühstückt.
Wir verlassen uns dann doch lieber auf die Fleischspieße, die wir kurz vor Bo auf einem kleinen Markt kaufen. Zunächst einmal geht das „Pallava“ wieder los. Denn von den vier Händlern, die alle neben einander stehen und mir ihre Kost anpreisen, kann ich ja schließlich nur einen glücklich machen. Jeder sagt, sein Fleisch sei das beste, frischer als das der anderen und und und… auch vor dem Schlechtmachen der Konkurrenz wird nicht zurück geschreckt.
Ein bisschen geht es hier zu wie im Wahlkampf zwischen Clinton und Obama. Wenn die Argumente nicht reichen, genügt im Zweifel auch die Hautfarbe des anderen oder die Behauptung, dass er ein Monster sei. Das mit der Hautfarbe klappt hier leider nicht ganz so gut, denn der einzige, der hier beleidigt werden könnte, wäre in diesem Fall der Kunde selbst. Es bleibt also bei generellen Verschmähungen. Irgendwann wird mir das zu bunt. Da ich ohnehin hungrig genug für alle bin, leiste ich einen schnellen Beitrag zur lokalen Friedensstiftung und bestelle einfach bei jedem Stand einen Fleischspieß. Alle sind baff und bedanken sich, als hätte ich gerade ein Jahresabo für Fleischspieße unterschrieben. Das Zeug ist wirklich gut - vielleicht sollte ich das wirklich in Erwägung ziehen?
Zur Erinnerung: 100.000 Leones reichen für einen 50kg Sack Reis. Davon lebt eine normale Familie 2 Wochen. Fleisch noch nicht eingerechnet. Ich bewundere, mit welchem Stolz und welcher Überzeugung er an den Job herangeht. Nun, im Vergleich zur Arbeit in der Diamantenmine ist selbst die Fahrt nach Kailahun angenehm wie eine Thai-Massage, nehme ich mal an.
Nun, das Ergebnis sieht reichlich lustig aus. Zunächst einmal ist es gar nicht so einfach, die Regeln zu erklären. Jeder ist verwundert, warum er nun erst die weiße Kugel anstoßen muss. Und warum man nur entweder die halben oder die ganzen Kugeln spielen darf. Ich habe also eine spaßige Abend-Lektion in interkultureller Kommunikation, bevor ich mich ins Bett begebe. So stelle ich mir eigentlich einen richtigen Workshop vor: Erstmal gemeinsam Spaß haben und etwas entdecken, dann über die harten Fakten reden.
Ich erkläre ihr, dass meines Erachtens alle Religionen grundsätzlich eine ihnen gemeinsame Daseins-Berechtigung haben und, dass fast alle Religionen im Rahmen ihrer Institutionalisierung Gewaltakte zu verantworten haben. Ach ja, und dass ich an Menschlichkeit glaube und weniger an einen da oben. Dennoch, so ist sie überzeugt, gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nicht mit menschlichen Maßstäben erklären lassen. Da stimme ich zu. Außerdem will ich ja niemanden von seinem Glauben abbringen, so lange es im richtigen Sinne interpretiert wird.
Sand fegt durch die Straßen und sticht in meinen Augen, mein Brot wird nass. Es ist stockfinster. Ich renne die richtige Abzweigung hinunter, bin mir aber nicht sicher und renne zurück. Doch, es war richtig. Wieder zurück. Als der Wachmann dann endlich mein Klopfen im rauschenden Donnergrollen identifiziert, ist es zu spät: Ich bin klatschnass.
Wenigstens haben wir eine Mikrowelle, um unseren Tee zu erhitzen, denn weder funktioniert das Gas, noch haben wir eine elektronischen Wasserkocher. Die gemütliche Runde dauert leider nicht lang, denn Florie muss noch arbeiten und ich fühle mich nicht gut. Der Workshop für Genderfragen wird von DFID gesponsert. Das steht eigentlich für „Department for International Development“. Als ich nachts aufstehe und ohne Licht zum Klo stolpere, fällt mir dazu nur noch eines ein: DFID, das heißt „DurchFall im Dunkeln“.
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