Friday 14 March 2008

Kacke am Dampfen

Nach fünf hektischen und aufregenden Wochen in Malama bin ich für meine letzten drei Wochen in Sierra Leone nun umgezogen. Mein Kollege, Boss und Freund Glenn hat mich eingeladen, zu ihm zu ziehen, hat er doch das große Apartment von Oxfam zur Verfügung, in dem es 3 Schlafzimmer, einen Fernseher, eine Küche und meistens Strom gibt. Zahlen muss ich dabei nichts, denn ich nehme ja niemandem etwas weg.

Ich sage nicht nein, denn trotz aller Liebe zu meiner Gastfamilie vermisse ich etwas Schlaf und fünf Minuten Privatsphäre am Abend – und streite das auch nicht ab, so blöd ich mir dabei auch vorkomme. Außerdem kann ich so jeden Morgen per Oxfam-Pick-Up zum Büro und muss nicht um ein Taxi kämpfen. Das sind die wenigen Komfort-Zonen, die man sich gönnt oder gönnen kann, wenn man einer von den ausländischen Experten ist, die hier für Oxfam arbeiten. Für mich eine Gelegenheit, mal in diesen Lebensstil hinein zu schnuppern.

Dennoch: Ich bin mir der Folgen bewusst und erzähle zunächst keinem in meiner Familie etwas von meinen Plänen. Ich möchte keinen beleidigen und auch nicht signalisieren, dass es mir in Malama nicht gefallen würde – denn es gefällt mir, sogar ausgesprochen gut. Ich weiß, es geht hier vor allem um ein bisschen Ehre. Jedem ist eigentlich klar, dass das kleine Haus ohnehin für die sechs Familienangehörigen schon viel zu klein ist – da fehlt es gerade noch an einem weißen Besucher, der meint, mal einen auf Buschmann machen zu müssen.

Komme ich nach Hause, so sitze ich bis zum Sonnenuntergang entweder tatenlos auf der Veranda oder im Wohnzimmer auf meinem Sessel, während jeder andere mit einem der Kinder oder der vielen entfernten Verwandten „besetzt“ ist.

Keine Frage also. Platztechnisch ist mein Umzug der richtige Schritt und hilft auch der Familie. Worum geht es also? Na klar. Ich bin der Gast, ich habe hier die Dienste genossen, das tägliche Essen, den morgendlichen Tee, die kleinen Orangen und Mangos am Abend und vor allem die liebevollen Gespräche und die Zuneigung der Kids und Familie auf der Veranda. Einfach gehen geht irgendwie nicht.

Und eigentlich finde ich selbst die weißen NGO-Jungs doof, die hinter hohen Sicherheitsmauern auf ihrem Balkon stehen und im wahrsten Sinne des Wortes von oben herab das Geschehen betrachten, dann aber meinen, die inneren Abläufe und Prozesse dieses Landes revolutionieren zu müssen. In den Mauerwerken stecken hier übrigens Glasscherben statt Stacheldraht….Aber gut, ich möchte eben beides kennenlernen – und mir, wie im Falle Malamas, ein eigenes Bild machen.

Ich warte also auf den richtigen Moment. Letztlich ist es gar nicht so schlimm und jeder kann verstehen, dass ich abends etwas Ruhe brauche und vielleicht auch einfach etwas Zeit, um an meiner Magisterarbeit zu arbeiten – das jedenfalls gebe ich vor, als kleine Notlüge. Ich ziehe also um zu Glenn und unseren anderen Mitbewohnern, den Kakerlaken, die es auch hier in der Küche und im Kühlschrank zu Genüge gibt.

Ich arbeite natürlich nicht an meiner Magisterabeit, sondern nur noch viel länger für Oxfam. Jeden Abend komme ich mit Glenn gemeinsam heim, wir teilen uns eine halbe Flasche Wein und versuchen, zu entspannen. Aber auch hier gibt es keinen echten Abschluss. Während im Hintergrund CNN mit neuen Opfern in Irak und Gaza dahin plänkelt, versuchen wir uns gegenseitig zu therapieren und die Frustration des Arbeitsalltages zu verarbeiten. „Debfriefing“ nennt man das auch unter Kennern des täglichen Burn-Outs der Entwicklungshilfe.

Glenn erzählt mir von vielen seiner vorherigen Erlebnisse im Sudan, in Angola und anderswo in der „dritten“ Welt. Einerseits tut das gut, da man sich mit dem Erlebten nicht alleine fühlt und sich mit den wiederkehrenden Mustern der fehlgesteuerten und gescheiterten Anläufe in diesen Ländern identifizieren kann. Andererseits fügt es nur noch mehr Last hinzu. Meine Schultern werden schwer, meine Ohren ein wenig taub. Ich stoße wieder und wieder an meine physischen und psychischen Grenzen – zumindest kann ich sie so langsam erahnen.

Ich kann hier viel über mich selbst lernen. Ich weiß, dass seelischer Frieden und physisches Wohlbefinden eng miteinander verknüpft sind. Und hier kriegen eben beide Faktoren ihr „Fett weg“. Das Essen ist nicht besonders ausgewogen, der Schlaf reicht nicht, die Schlaglöcher in den Straßen gehen auf Dauer in‘s Kreuz, der Lärm, der Diesel… und am schlimmsten: Der Bruder meiner Kollegin, der neulich noch im Krankenhaus lag, ist inzwischen gestorben. An Nierenversagen und Mangel an Doktoren. Mit 21. All das belastet. Ich habe es erwartet, als ich hier herkam und bin darauf vorbereitet. Aber der stete Tropfen höhlt letztlich eben doch jeden Stein.

Dazu kommen endlose Diskussionen mit Kollegen, Workshops, die ohne Ergebnisse bleiben und knallharte Verhandlungen mit Taxi-Fahrern, die einen für eine weiße Geldmaschine halten. Ich will nicht jammern, nur schildern, was ich empfinde.

Am besten wohl an einem Beispiel: Diese Woche haben Glenn und ich ein Treffen mit einem Unternehmen des privaten Sektors. Eine englische Firma. „Consultants“ sollen sie sein, diese vier Mitarbeiter, Berater für die Guma Valley Water Company. Guma verwaltet hier die gesamte Wasserversorgung in Freetown, leider aber nur mit erheblichen Mängeln.

Seit Jahren gibt es kein wirkliches Management der Systeme mehr, Menschen in den Slums der Stadt haben schlicht kein sauberes Wasser und schneiden aus Verzweiflung in die Versorgungsrohre. Mehr als 50% des Wassers gehen verloren an solchen Stellen und während die Ärmsten der Armen der Stadt fast verdursten, bekommen die Reichen nicht einmal eine Wasserrechnung. In den Slums, so hat unsere Oxfam-Studie herausgefunden, bezahlen Menschen durchaus für ihr Wasser, teilweise 20.000 – 30.000 Leones im Monat, was für manche fast 100% des Monatsverdienstes bedeutet.

Nur leider geht das Geld nicht an Guma, sondern an irgendwelche Mafiosos, die sich ohnehin private Leitungen auf ihren Grundstücken leisten können.

Die Ingenieure, die für diese Beratungsfirma nun extra aus England eingeflogen wurden, kümmert das wenig. Sie sollen in ihren fünf Wochen ein paar Empfehlungen ausarbeiten und Guma zeigen, wo’s lang geht. Oxfam soll der Partner im Kampf gegen die Armut sein und durch unsere Studie aufzeigen, was die Betroffenen selbst an Bedürfnissen und Lösungsvorschlägen anzubieten haben. So bekommt das ganze einen Anschein von „pro-poor“.

Nur leider bleibt wenig von unserer Arbeit der letzten Wochen hängen. Im heutigen Workshop bekommen wir gerade mal 10 Minuten zugesprochen für die Präsentation unserer Ergebnisse. Das reicht nicht einmal für die wesentlichen Diagramme, die wir seit 2 Wochen jeden Tag ausgearbeitet und berechnet haben.

Ich explodiere inzwischen fast vor Wissen über „open defecation“, „cut pipes“, und verschiedenen Plumps-Klo-Modellen. Ich will den Leuten von Guma und der Regierung am liebsten selbst in’s Gesicht sagen, was ich von ihnen halte. Da das leider nicht geht, verlasse ich nach dem Mittagessen frustriert den Workshop. Alle reden irgendwie aneinander vorbei und versuchen, einen Schuldigen zu finden. Ein weiterer Damm muss gebaut werden, sagt der eine. Nein, erst muss man eine Kläranlage haben und die Scheiße aus den Slums transportieren, sagt der andere. Und außerdem soll das alles schön viel kosten und den Leuten berechnet werden. Keiner scheint zu begreifen, dass wir nicht gegeneinander arbeiten müssen, sondern dass es sich vielmehr um ein Puzzle von vielen wichtigen Bausteinen handelt. Schon zum dritten Mal in den letzten 30 Jahren fliegen Consultants ein und schlagen genau dieselben Maßnahmen vor, wie schon vor 10 und 20 Jahren. Nur umgesetzt wurde bislang nichts.

Ich bin mit meinen Kräften am Ende und will mit dem Taxi in‘s Büro. Die Tür geht angeblich nicht recht zu, sagt der Fahrer. Neben mir sitzen bereits drei Passagiere, es ist also eng. Ich lehne mich raus, um die Tür von außen zu öffnen, denn von innen klappt es nicht. Beim Oxfam Büro angekommen will ich zahlen und greife in meine Tacshe. „Nein, nein“, sagt der Fahrer..“ schon in Ordnung“.

Ok, denke ich mir...nett von ihm. Als ich wenig später meinem Kollegen Henry etwas Geld geben will, damit er seine Uni-Bewerbung bezahlen kann, stelle ich fest, dass mir einer der Beifahrer 40.000 Leones gestohlen hat. Ich ärgere mich einen kurzen Moment. Aber dann denke ich: „Wow, das ist ein Monatslohn für viele Bewohner in Mabella.“ Wie es dort ausschaut, seht Ihr auf den Fotos – und die sprechen, so glaube ich, für sich.

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